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"Geliebter und gefürchteter Papst"

20. April 2005

Von Zustimmung bis Ablehnung reicht das Spektrum der Meinungen in der internationalen Presse auf die Wahl von Kardinal Ratzinger zum Papst. Ein Überblick.

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"Rzeczpospolita", Polen

"Zu den Herausforderungen, vor denen das Papsttum am Beginn des 21. Jahrhunderts steht gehören die Fragen der Umsetzung der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, der Dialog mit der Wissenschaft, die Antwort auf neue Ideologien, Ökumene, die Beziehung nicht nur zum Islam, sondern auch zu anderen Religionen. Außer diesen globalen Problemen steht Benedikt XVI. auch vor den Herausforderungen, die verbunden sind mit den Hoffnungen und Erwartungen unter dem Einfluss des Pontifikats von Johannes Paul II. Sein Nachfolger muss nicht alle brennenden Probleme lösen, vor denen der Katholizismus heute steht. Er muss jedoch vor allem ein Mensch mit lebendigem Glauben und ein Zeuge der Gegenwart Gottes auf der Welt sein."

"El País", Spanien

"Nun bleibt abzuwarten, ob Papst Benedikt XVI. eine Fortsetzung von Kardinal Ratzinger sein wird. Das neue Kirchenoberhaupt hatte bis zu seiner Wahl als herausragender Vertreter der dogmatischen Strömung gegolten. Das hohe Alter von Ratzinger deutet darauf hin, dass die Kardinäle ihn vielleicht als einen Übergangspapst ausgewählt haben. So etwas war bereits bei Johannes XXIII. als Nachfolger von Pius XII. geschehen. Damals allerdings brachte der neue Papst frischen Wind in die Kurie und revolutionierte die Kirche. Wird Ratzinger etwas Ähnliches tun?"

"Corriere della Sera", Italien

"Die Kirche vertraut sich einem Mann von 78 Jahren mit einem kindlichen Gesicht an, einem Schüchternen mit großer Energie und einer Kultur, die Augustinus in nichts nachsteht. Er wird ein geliebter und gefürchteter Papst sein, ein Intellektueller mit Zügen eines Hirten. Das hatte es noch nie zuvor gegeben, dass ein Papst seine Rede an die Welt 24 Stunden vor seiner Wahl hielt, während der Messe zum Auftakt des Konklave. In diesen Worten, die er einen Tag bevor er Benedikt XVI. wurde zu den Kardinälen sprach, liegt ein ganzes Pontifikats-Programm, das man zusammenfassen kann, als wäre es ein Motto: 'Wahrheit und Barmherzigkeit'."

"Gaseta", Russland

"Ratzinger bereitete das Dokument der Glaubenskongregation aus dem Jahr 2000 vor, in dem der Begriff der 'Schwesterkirchen' im Dialog mit den orthodoxen Kirchen erstmals anders verwandt wurde. Gerade diese Verschiebung war das Hindernis vor einem Treffen des gestorbenen Papstes mit dem Moskauer Patriarchen Alexi II. (...) Ratzinger war der Ideologe der Expansion der 'Mutterkirche' in Gebiete, die seit 1000 Jahren von der Russisch-orthodoxen Kirche geistlich genährt wurden. Sie gilt nicht mehr als Schwester, sondern als verlorene Tochter"

"New York Times", USA

"Da fast alle Kardinäle, die sich zur Wahl eines neuen Papstes versammelt hatten, von Johannes Paul II. Berufene waren, ist es wahrscheinlich nicht ganz so überraschend, dass sie jemanden wählten, der möglichst nahe an den alten Pontifex herankommt. Kardinal Ratzinger, der neue Papst Benedikt XVI., arbeitete eng mit einem Vorgänger zusammen und teilte den Glauben an eine orthodoxe katholische Lehre. Es gibt keinen Grund irgendeine Änderung zu erwarten. (...) Wie sein Vorgänger ist Benedikt XVI. kein Italiener, aber er setzt die lange Tradition europäischer Päpste fort, in einer Zeit in der die Mitgliederzahlen der Kirche außerhalb Europas wächst. (...) Heute kann die Welt Papst Benedikt XVI. nur die Kraft und Inspiration wünschen, die er für die außerordentliche Bürden der spirituellen, moralischen und politischen Führung braucht."

"Information", Dänemark

"Seit dem Tod von Papst Johannes Paul II. galt der deutsche Kardinal Jospeh Ratzinger als natürlicher Nachfolger. Trotzdem kommt die Nachricht von seiner Wahl zum Papst mit Namen Benedikt XVI. wie eine Bombe. Ratzinger ist genauso konservativ und doktrinär, wie es Karol Wojtyla war. (...) Die Amtszeit von Benedikt XVI. wird vermutlich kurz bleiben und den Weg für einen Afrikaner oder Südamerikaner bahnen. (...) Der überwiegende Teil der Katholiken in Afrika, Asien und Lateinamerika ist konservativ. Hier wird die strenge Moral von Benedikt willkommen sein. In Europa und Nordamerika dagegen kann der neue Papst unter den schrumpfenden katholischen Massen wohl kaum populär werden. Auf beiden Kontinenten sinkt die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger kräftig. Es gibt auch zu wenige Priester. Hier hat Wojtyla versagt. Ob Ratzinger etwas an der Glaubenskrise ändern kann, erscheint zweifelhaft."

"Neue Zürcher Zeitung", Schweiz

"Die wahlberechtigten Kardinäle haben Benedikt XVI. den Makel erspart, eine nach qualvoller Suche gefundene 'Verlegenheitslösung', bloß ein 'Kompromisskandidat', gewesen zu sein. Joseph Ratzinger kann sein schwieriges Amt mit der Gewissheit antreten, dass ihm eine große Mehrheit der Kardinäle wohlgesinnt ist. Zumindest von dieser Seite werden ihm wenig Widerstände erwachsen, im Gegensatz etwa zum kalten Wind, der ihm von katholischer Seite aus seiner ursprünglichen Heimat entgegenweht. Ratzinger mag keine 'Verlegenheitslösung' sein. Aber entspricht die Wahl auch einem mutigen, vorwärts weisenden Entscheid? Benedikt XVI. ist am 16. April 78 Jahre alt geworden; ein ebenso langes Pontifikat, wie es seinem Vorgänger beschieden war, darf er nicht erwarten - es sei denn, die Natur begünstige ihn in außergewöhnlicher Weise. Die Wahl Ratzingers steht wohl für ein eher kurzes Pontifikat, das den Kardinälen Zeit lässt, sich in aller Ruhe Gedanken über eine langfristige Regelung der Kirchenführung zu machen." (mik)