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"Gelenkte Demokratie" oder "ungelenker Demokrat"?

Stephan Hille29. Juli 2003

"Who is Mr. Putin?" – Wer ist Herr Putin? Diese Frage stellte ein amerikanischer Korrespondent kurz nachdem Russlands heutiger Präsident die politische Bühne vor vier Jahren betreten hatte.

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Ein ehemaliger Spion des Geheimdienstes KGB auf dem Präsidentensessel - der Verweis auf Wladimir Putins Geheimdiensttätigkeit fehlte anfangs nie in den Beurteilungen über den neuen Mann im Kreml, dessen kometenhafter Aufstieg vor allem darauf beruhte, die separatistischen Tschetschenen erneut mit Krieg zu überziehen.

Zwar bleibt der Konflikt in Tschetschenien ungelöst, doch der anfangs mit Argwohn bedachte russische Präsident stieg mit Charme und Geschick rasch zum Politiker von Weltformat auf. Im Inland entmachtete er die widerspenstigen Provinzgouverneure und entfernte praktisch sämtliche Gegengewichte zur Macht im Kreml. Dafür jagte ein Reformgesetz das andere: Steuerreform, Justizreform, wirtschaftliche Deregulierung und sogar eine Bodenreform, die den Privatbesitz von Land ermöglicht.

Aus dem Ex-Agenten Putin wurde der gefeierte Reformer, der wie Zar Peter der Große Russland modernisiert und das Fenster zum Westen weit aufstoßen hat. Die Attentate vom 11. September 2001 nutzte Putin, um Russland eng an Amerika und den Westen zu binden. Selbst die Opposition zum Irakkrieg hat Putin nicht geschadet.

Bis vor kurzem galt Putin als der Hoffnungsträger, der nicht nur Stabilität und Aufschwung verspricht, sondern Russland zu einem Partner und sicheren Hafen für westliche Investoren macht. Doch seit den offenbar politisch motivierten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Öl-Giganten Jukos, die vor einem Monat begonnen und die russische Geschäftswelt verunsichert haben, hat das Reformer-Image des russischen Präsidenten einen Bruch bekommen.

Jukos-Chef Michail Chodorkowski hatte angekündigt, bei den kommenden Parlamentswahlen die liberale Opposition zu unterstützen. Russische Medien wittern daher hinter den Ermittlungen gegen Jukos vor allem die "Silowiki", wie die Angehörigen von Geheimdienst und Militär genannt werden.

Fakt ist, dass Putin seit seinem Amtsantritt zahlreiche Schlüsselpositionen mit Geheimdienstlern besetzt und den Inlandsgeheimdienst personell wie strukturell erheblich aufgewertet hat. Putin schwankt zwischen Autoritarismus und Demokratie. Dass er den "Silowiki" in der Jukos-Affäre freien Lauf lässt, zeigt, dass die Frage "Who is Mr. Putin" längst noch nicht beantwortet ist.