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Geldgarant Migrant

22. Juli 2010

In Zeiten der Wirtschaftskrise sind ärmere Staaten besonders auf die Geldtransfers der im Westen lebenden Auswanderer angewiesen. Eine neue Welle der Bargeld-Hilfe erwartet man auf dem Balkan zu Beginn der Sommerferien.

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Migranten in Berlin (Foto: DW)
Migranten unterstützen oft ihre Verwandten in der HeimatBild: DW

Ein in den serbischen Nationalfarben - weiß, blau und rot - lackiertes Sportflugzeug nimmt Anlauf über den holprigen Rasen, steigt hoch und landet nach einigen Minuten der Luftakrobatik wieder sanft auf dem Flugplatz. Aus der Maschine, die den Schriftzug "Made in Serbia" trägt, steigt Milorad Matic. Der Siebenunddreißigjährige ist nicht nur Pilot und Besitzer des Flugzeugs. Der zweifache Vater ist auch Eigentümer einer Flugzeugfabrik, die er in seiner serbischen Heimat, in der Stadt Kraljevo, vor drei Jahren gegründet hat.

In der Halle seiner Fabrik, die sich "Aero-East-Europe" nennnt, arbeiten heute 25 Mechaniker und Ingenieure. Das Kapital für die Flugzeugproduktion hat Milorad Matic als Gastarbeiter in Italien und Deutschland erarbeitet, das Know-how in Italien und Tschechien gewonnen. Vor nunmehr zwei Jahrzehnten hatte sich Matic aus Existenznöten in den Westen aufgemacht. Er arbeitete zunächst auf norditalienischen Baustellen, um später selbst eine Baufirma in Süddeutschland zu gründen. Milorad verdiente sogar genug, um sich seinen Kindheitstraum vom Fliegen zu erfüllen. Dann kehrte er nach Serbien zurück.

Heimathilfe als patriotische Pflicht

Montage in der Flugzeugfabrikhalle (Foto: DW)
Milorad Matic arbeitet in einer Flugzeugfabrikhalle in SerbienBild: DW/Filip Slavkovic

Wer im Ausland lebt, spürt den Patriotismus viel stärker, behauptet Milorad Matic. "Wenn man hier ist, vermisst man sein Land nicht. Aber jeden, der fort ist, zieht etwas hierhin zurück, man spürt diesen patriotischen Schmerz." Aus Liebe zu seinem Vaterland habe er in Serbien investiert und aus Liebe zu seinen Landsleuten schon aus dem Ausland die Familie und Freunde in der Heimat unterstützt. Viele Serben, die in Italien, Deutschland, Österreich oder der Schweiz Arbeit fanden, helfen auch heute noch mit Geldtransfers ihren zuhause gebliebenen Landsleuten, weiß Matic. "Sie schicken Geld. Ohne diese Überweisungen würden manche Familien gar nicht überleben können. Oder man bringt selbst Geld. Oder versucht etwas zu aufzubauen."

Nicht nur in Serbien, überall auf dem Balkan findet man Neubauten, Häuser für die ganze Großfamilie, vom Geld derer errichtet, die auf Jobsuche ins Ausland gingen und einen Teil ihres Verdienstes an die Verwandschaft zuhause überwiesen.

Wichtiges soziales Sicherheitsnetz

Weltbank-Bürochef in Bosnien-Herzegowina Marco Mantovanelli (Foto: DW)
Weltbank-Bürochef in Bosnien-Herzegowina Marco MantovanelliBild: DW/Filip Slavkovic

"Wir gehen davon aus, dass das meiste Geld zu den ärmsten Familien geht, die in größter Not sind", sagt Marco Mantovanelli, Chef des Weltbank-Büros im bosnischen Sarajewo. "Indem Verwandte im Ausland den Teil der Familie, der in der Heimat geblieben ist, unterstützt, übernehmen sie die wichtige Rolle eines sozialen Sicherheitsnetzes." In Bosnien-Herzegowina machen die Geldüberweisungen der Wirtschaftsemigranten nach Berechnungen der internationalen Experten über 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus - im letzten Jahr waren das umgerechnet mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar.

Davon profitieren auch viele der Verkäufer auf dem Markt im Zentrum der Hauptstadt Sarajewo. In Zeiten der Wirtschaftskrise kann sich die verarmte Stadtbevölkerung nur wenig leisten. Da hilft es Nerima, die auf dem Markt Blumen anbietet, dass zu Beginn der Jugoslawien-Kriege ihre Cousins in die USA ausgewandert sind. Nun schicken sie ein paar Mal im Jahr einige Hundert US-Dollar. Mehr gehe nicht, weil sie Kredite aufgenommen hätten. "Ich hoffe, dass es wieder mehr wird, wenn es ihnen besser geht, damit wir überleben können. Vom Blumen-Verkauf allein hat man manchmal nicht genug für das Abendessen."

Weniger Überweisungen wegen der Wirtschaftskrise

Gemüsemarkt (Foto: DW)
Wenn Geld aus dem Ausland kommt, geht es auch den einheimischen Märkten besserBild: DW / Aida Cama

Ihr Marktnachbar am Gemüsestand ist ebenfalls unzufrieden. Die Weltwirtschaftskrise habe zuletzt seine Brüder und Schwester in Deutschland geiziger gemacht. "Sie sagen, dass es ihnen schlechter als uns geht, weil sie keine Arbeit hätten. Manchmal helfen sie noch ein bisschen, ab und zu mal mit etwa zehn Euro."

Gerade die Armen und Schwachen könnten von der globalen Finanzkrise und ihren Folgen am härtesten getroffen sein, warnte vor einem Jahr die Weltbank. Die wirtschaftlichen und sozialen Systeme vieler Nationen könnten ohne Rücküberweisungen der Arbeitsemigranten zusammenbrechen.

Diese Geldtransfers sind in 2009 tatsächlich in den meisten Staaten im Vergleich zu Vorkrisenjahren um bis zu 20 Prozent gesunken. Nach Bosnien wurden etwa eine halbe Milliarde Dollar weniger transferiert als noch im Jahr 2008. Serbien bekam die Krise nicht so stark zu spüren. Seit 2004, so die Schätzungen der Weltbank, kamen durch Geldtransfers von Arbeitsemigranten 30 Milliarden US-Dollar in das Land.

Das Geld ist erwünscht, die Menschen weniger

Flugzeug-Kontrolle durch Fabrikchef Milorad Matic (Foto: DW)
Flugzeug-Kontrolle durch Fabrikchef Milorad MaticBild: DW/Filip Slavkovic

Die Regierung in Belgrad möchte, dass ihre Bürger im Ausland, aber auch zuhause investieren. Vielerorts jedoch scheitern die Rückkehrer an Korruption und Misswirtschaft. Auch der Flugzeugbauer Milorad Matic fürchtet deswegen um seine Unternehmen. "Viele möchten ja Geschäfte machen. Doch die Firmen gehen, nicht zuletzt aufgrund der hiesigen Probleme, pleite. Man gibt sein Erspartes aus und geht dafür in den Ruin." Er habe in Serbien insgesamt eine Million Euro durch Korruption und Misswirtschaft verloren.

Die Auswanderer sind in einem Zwiespalt. Auf dem Balkan wird ihre finanzielle Unterstützung erwartet und benötigt. Die Menschen selbst, aber sollen lieber im Ausland bleiben, um von dort aus helfen zu können. So fällt auch die Bilanz des Heimkehrers Matic gemischt aus. "Es war ein Fehler zurück zu kommen. Mein Herz sagt mir, dass es richtig war, weil meine Familie hier ist. Finanziell war es aber ein Fehler - in einem anderen Land hätte ich es besser gehabt."

Die Flugzeuge aus seiner Fabrik werden allesamt ins Ausland verkauft. Milorad selbst ist zurück gekehrt und hat im geliebten Vaterland eine harte Landung erlebt.

Autor: Filip Slavkovic
Redaktion: Zhang Danhong