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Afghanistan Gewalt

27. Februar 2012

Die Gewaltwelle in Afghanistan ist Ausdruck der verletzten Gefühle des Volkes. Sie wird aber auch von der mächtigen konservativen Geistlichkeit für ihre Interessen angeheizt.

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Zerstörter PKW nach Selbstmordanschlag in Dschalalabad (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Man konnte dem deutschen General Carsten Jacobson, ISAF-Sprecher seit Juli 2011, die Anspannung der letzten Tage anmerken, als er am Sonntag (26.02.2012) erneut zur Pressekonferenz im Hauptquartier in Kabul erscheint. Der deutsche Offizier wiederholte, wie sehr die Führung der NATO-Truppen in Afghanistan und er selbst die Verbrennung von Korenexemplaren im US-Militärlager bei Bagram bedauern. Zusammen mit den afghanischen Behörden werde die ISAF nun die richtigen Lehren aus den Protesten der vergangenen Tage ziehen. Es sei "von höchster Wichtigkeit", so offen wie möglich und so eng wie möglich mit den afghanischen Behörden bei der Aufklärung der Hintergründe zusammenzuarbeiten.

Macht der Geistlichkeit

Jacobson sprach in seinen ausführlichen Erklärungen immer wieder von der Geistlichkeit des Landes, deren Vertreter auch in die Aufklärung der Vorfälle in Bagram eingebunden wurde. Die ISAF scheint die wichtigste Lektion aus den gewaltsamen Ausschreitungen der letzten Tage gelernt zu haben: Sie weiß jetzt, wie groß die Macht der religiös-konservativen Kreise in Afghanistan ist. Diese Kreise sind in der Lage, die verletzten Gefühle der Menschen für ihre Zwecke zu nutzen. In zahlreichen Moscheen haben die Geistlichen die Koranverbrennung als einen absichtlichen Angriff auf das den Muslimen Heilige dargestellt und die Menschen aufgefordert, sich zu erheben. Ein Demonstrant aus der südlichen Provinz Khost lässt seinen Gefühlen nach dem Moscheebesuch freien Lauf: "Wir müssen Rache nehmen. Diese Gottlosen haben unseren heiligen Koran beleidigt. Mit einer Entschuldigung müssen wir uns nicht zufriedengeben. Wir müssen gegen diese Gottlosen mit aller Härte vorgehen und Rache nehmen."

ISAF-Sprecher General Carsten Jacobson (Foto: (picture alliance/dpa)
ISAF-Sprecher Jacobson setzt auf "offene und enge" Zusammenarbeit mit Behörden und GeistlichenBild: picture-alliance/dpa

Die Mullahs in Afghanistan wissen, wie religiös die Menschen in diesem Land sind. Ein Leben ohne Religion können sich die meisten Afghanen nicht vorstellen. Sie sind bereit, jederzeit ihr Leben für ihren Glauben zu opfern. Für die Muslime stellt der Koran als direktes Wort Gottes das größte Heiligtum ihrer Religion dar. Die Schändung des heiligen Buches verletzt die Gefühle aller Muslime in Afghanistan.

Diese Gefühle nutzten die ultrakonservativen Kräfte, die ihre Machtstellung in der Gesellschaft durch den Prozess der Demokratisierung in großer Gefahr sehen, für ihre Interessen aus, so der Soziologe Mojiburahman Rahim: "Die Anstrengungen der letzten zehn Jahre waren offensichtlich nicht annähernd ausreichend, um die Macht der Ultrakonservativen im Land zu begrenzen. Dieser Gefahr müssen sich die Verantwortlichen in Afghanistan bewusst sein."

Machtbasis Religionsschulen

Die Macht der Konservativen wachse umso mehr, je unzufriedener die Menschen in Afghanistan sind, meint Rahim. Außerdem komme den Religionsschulen (Madrasas) eine immer größere Bedeutung als Machtbasis der Religiös-Konservativen zu. Diese Schulen würden zum größten Teil mit Geldern aus Iran und Pakistan finanziert.

Religionsschule in Kabul (Foto: picture-alliance / Tom Koene)
In den Religionsschulen hat der konservative Klerus das SagenBild: picture-alliance / Ton Koene

Der afghanische Jura-Professor Safi Wadir weist darauf hin, dass es nicht nur die Taliban und nicht nur die Terrororganisation Al-Kaida seien, die gegen die afghanische Regierung und die NATO-Truppen kämpften, sondern - mit ihren Mitteln - auch die Mullahs in den Moscheen und in den Religionsschulen. Deshalb müssten die verantwortlichen Afghanen und Ausländer mit größter Vorsicht in Afghanistan agieren. "Sie dürfen den Extremisten keinen Grund liefern, um die Gefühle der Menschen immer wieder für ihre Zwecke auszunutzen."

Die Äußerungen aus dem Hauptquartier der ISAF zeigen, dass die NATO-Generäle durchaus die Brisanz der Situation erkannt haben. So versicherte ISAF-Sprecher Jacobson, dass alles getan werde, damit solche Fehler wie in Bagram sich nicht wiederholen. Er weiß, dass eine Wiederholung den Erfolg der Afghanistan-Mission ernsthaft gefährden könnte.

Autor: Ratbil Shamel
Redaktion: Hans Spross