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Geheimniskrämerei der Trainer

15. Juni 2004

Jetzt kommt es also, das Spiel der Spiele - zumindest aus deutscher und holländischer Perspektive. Deutschland gibt sich kämpferisch, Holland locker - aber zerstritten.

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Spielt Versteck mit der Aufstellung: Rudi VöllerBild: AP

Mit einem Bollwerk "Made in Germany" und einem Teamgeist "Made in Asia" will die deutsche Nationalmannschaft 18.45 Uhr (UTC) im Klassiker gegen die Niederlande alle Zweifler in die Schranken weisen. "Wir werden topfit und taktisch bestens gerüstet sein und bis zur letzten Sekunde alles dafür tun, um erfolgreich zu sein", sagte Rudi Völler vor dem Abflug des Vize-Weltmeisters am Montag (14.6.) von Faro nach Porto. Der Teamchef macht sich keine Sorgen um ein Desaster wie 2000: "So etwas wird uns mit Sicherheit nicht mehr passieren", erklärte der Teamchef.

"Man wird erkennen, dass wir jetzt drei Wochen zusammen sind. Es hat sich wie schon vor der WM 2002 eine völlig intakte Einheit gebildet", betonte Völler-Assistent Michael Skibbe und kündigte in kämpferischem Ton auch an, dass ein DFB-Team erstmals seit dem 7. Oktober 2000 (1:0 in England) wieder eine der großen Fußball-Nationen bezwingen könnte.

Die deutsche Mannschaft hat aber seit acht Jahren nicht mehr gegen die Niederlande gewonnen. Der letzte Sieg gelang 1996 in Rotterdam mit 1:0. Als einziger aus dem aktuellen EM-Kader war Christian Ziege dabei. Seitdem gab es ein Unentschieden und zwei Niederlagen. Das letzte Aufeinandertreffen bei einer EM-Endrunde endete 1992 in Schweden mit einer 1:3-Niederlage - wie Deutschland überhaupt erst einmal bei einer EM gegen die Niederlanden gewinnen konnte: 1980 in Italien hieß es 3:2 durch drei Tore von Klaus Allofs. Insgesamt ist die Bilanz allerdings mit 13 Siegen, 12 Unentschieden und 10 Niederlagen positiv.

"Aufstellung wissen nur drei Leute"

Außer verbalen Kampfansagen ließ sich die sportliche Leitung aber auch am Montag nichts entlocken, sondern setzte die Geheimniskrämerei um Taktik und Aufstellung mit sichtlichem Vergnügen fort. Skibbe behauptete gar, dass die Mannschaft erst bei der Abschlussbesprechung knapp vier Stunden vor Spielbeginn darüber aufgeklärt werden soll, wer wo und gegen wen anzutreten hat. "Die Aufstellung wissen nur drei Leute: Rudi Völler, Erich Rutemöller und ich."

Vieles spricht dafür, dass sich der Vize-Weltmeister auf in seiner taktischen Grundordnung einigeln wird. "Rudi baut ein richtiges Bollwerk auf", mutmaßt Franz Beckenbauer. Demnach wird Völler den Bremer Frank Baumann als Zusatz-Absicherung im fünfköpfigen Mittelfeld einbauen und mit Kevin Kuranyi als einzigen Stürmer operieren. In der Innenverteidigung bleiben Christian Wörns und Jens Nowotny erste Wahl. Arne Friedrich und Philipp Lahm komplettieren die Abwehrkette. "Das macht Sinn, weil wir ohnehin nicht gerade einen Überfluss an Torjägern haben", kommentierte Beckenbauer als höchste deutsche Fußballinstanz, ergänzte aber, Michael Ballack müsse "unbedingt als zweiter Stürmer nachstoßen, sonst läuft sich Kuranyi in Hollands Viererkette tot." Beckenbauer gibt sich optimistisch: "Nein, vor den Oranje braucht Rudi keine Angst zu haben. Sie mögen im Angriff über die besseren Einzelspieler verfügen. Wir halten das ausgeglichenere Mittelfeld dagegen und treten stärker als Einheit auf. Wir müssen uns auf gar keinen Fall verstecken."

Krawall durch und bei den Holländern

Farbe Orange in den Niederlanden Fußball, Oranje
Verzerrte Wahrnehmung in Oranje?Bild: dpa

Verstecken müssen sich die deutschen Spieler möglicherweise aber in ihrem Sheraton-Hotel in Porto. Niederländische Blaskapellen haben angekündigt, in der Nacht vor dem Spiel mit gezielten Aktionen die DFB-Stars um ihren Schlaf zu bringen - dabei gibt es im holländischen Lager eigentlich genug Krach. Beim ersten Training in der Wettkampfstätte gab man sich zwar betont locker, doch das Starensemble streitet mal wieder und der Trainer Dick Advocaat reagiert gereizt.

Die Niederlande träumen vom Triumph über den Erzrivalen, doch die Mannschaft präsentiert sich zuletzt in einem desolaten Zustand. Zuletzt legte ausgerechnet der sonst eher ruhige Roy Makaay nach und beschwerte sich über seine Reservistenrolle. "Glauben Sie mir, die Deutschen haben Angst vor mir. Psychologisch wären wir mit mir doch klar im Vorteil", forderte der Stürmer des FC Bayern München im "Algemeen Dagblad" erneut seinen Einsatz.

Zu allem Überfluss sorgte Ruud van Nistelrooy mit politischen Statements für Aufsehen: "Hier geht's nicht nur um bisherige Fußball-Duelle, sondern auch um geschichtliche Hintergründe. Vor allem um das, was vor 60 Jahren passiert ist", meinte der Stürmerstar von Manchester United. Und als hätte Bondscoach Dick Advocaat nicht Sorgen genug, setzte auch noch das nationale Fußball-Denkmal Johan Cruyff im staatlichen Fernsehen schon vor dem ersten Spiel zur Abrechnung an. Der ehemalige Weltklasse-Spieler spricht dem heutigen Oranje-Team den nötigen Mannschaftsgeist und unbedingten Erfolgswillen ab.

"Wartet mit dem Abschlachten"

Dick Advocaat, Euro2004
Himmel hilf: Dick AdvocaatBild: AP

Bondscoach Dick Advocaat hofft nach den zermürbenden Kritiken auf den Befreiungsschlag. "Wartet mit dem Abschlachten, bis wir gegen Deutschland gespielt haben", flehte Advocaat. Tatsächlich hat es Advocaat in einer völlig verunglückten Vorbereitung mit Niederlagen gegen Belgien und Irland nicht geschafft, aus seinem Großaufgebot genialer Individualisten eine eingespielte Mannschaft zu formen. Hinter der erhofften Wiedergutmachung für die verpasste WM-Qualifikation 2002 stehen viele Fragezeichen. Die Oranje- Stars zeigten sich auch bei den Trainingseinheiten im Estadio Municipal von Albufeira oft verunsichert und nicht als homogenes Team.

Wie Völler hält Advocaat seine Aufstellung streng geheim. Sehr wahrscheinlich wird gegen Rudi Völlers Auswahl aber eine Mannschaft auflaufen, die in dieser Formation noch nie gemeinsam gespielt hat. (sams)