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Europa will "Probleme outsourcen"

9. März 2016

Die Europaparlamentarier teilen die Erleichterung über den geplanten Flüchtlingspakt mit der Türkei nicht. Fraktionsübergreifend hagelte es Kritik. Für einen Eklat sorgte ein griechischer Rechtsextremer.

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Europa-Parlament in Straßburg (Foto: Getty Images/AFP)
Bild: Getty Images/AFP/F.Florin

Sozialisten, Grüne, Liberale, Linke und Parteien am rechten Rand äußerten im Straßburger Europaparlament massive Bedenken wegen drohender Massenabschiebungen und der Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Konservative Vertreter kritisierten die umfangreichen Gegenleistungen, die Ankara verlangt. Wiederholt wurde in der Plenardebatte bezweifelt, dass die beabsichtigte Rücknahme von Flüchtlingen durch die Türkei dem Völkerrecht entspricht und moralisch vertretbar ist.

Die geplante Regelung sei völkerrechtlich "höchst problematisch", sagte der Chef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt. Europa wolle damit seine "Probleme outsourcen" und gebe dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan "die Eingangsschlüssel für die Tore Europas in die Hand". "Wir blockieren kollektiv den Eingang zur Europäischen Union für Syrer und andere, und die Türkei kann auf individueller Basis dann entscheiden: Wer ist jetzt hier Flüchtling, und wer darf rein?"

Die Linken-Abgeordnete Gabriele Zimmer sprach von einem "vergifteten Angebot", das an einen "Ablasshandel" erinnere. Mit Menschen und mit Grundrechten dürfe aber nicht gehandelt werden. Der Grünen-Vertreter Philippe Lamberts sah eine "moralische Konkurserklärung". Europa rolle einem "Regime den roten Teppich aus", das die Presse knebele und Kurden bombardiere.

Es dürfe "keinen Kuhhandel zum Schicksal von Flüchtlingen" geben, sagte auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, Gianni Pittella. Die Beitrittsgespräche mit einem Dialog in der Flüchtlingskrise zu vermischen, sei der falsche Ansatz.

"Dumme und schmutzige Barbaren"

Mit rassistischen Äußerungen über Türken provozierte ein Abgeordneter der rechtsextremen und ausländerfeindlichen griechischen Partei Goldene Morgenröte einen Eklat. Eleftherios Synadinos bezeichnete in der Debatte die Türken unter Berufung auf nicht namentlich genannte "osmanische Gelehrte" pauschal als "dumme und schmutzige Barbaren".

Parlamentspräsident Martin Schulz schloss Synadinos von der Sitzung aus und verwies ihn aus dem Plenarsaal. Der 60-Jährige kam der Aufforderung erst nach, als Schulz ihm mit einem Rauswurf durch die Saaldiener drohte. Unter lauten Protestrufen und Tumulten auf den Bänken der Rechtsextremen verließ er schließlich die Debatte.

Ziel: Schleuser und Schlepper blockieren

Unterstützung bekam der Plan über die geplante Kooperation der EU mit Ankara bei der Flüchtlingspolitik von den Konservativen. "Den Schmugglern das Handwerk legen, das Durchwinken beenden, die illegale Migration aus der Türkei nach Griechenland unterbinden, all das sind richtige Antworten", sagte ihr Fraktionschef, der deutsche Abgeordnete Manfred Weber (CSU). Bei der Visa-Befreiung gebe es aber "viele Sorgen" in seiner Fraktion, eine Vollmitgliedschaft in der EU werde dort abgelehnt.

Zu Beginn der Debatte warben die niederländische Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert, deren Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, und EU-Kommissions-Vizechef Valdis Dombrovskis für die angepeilte Vereinbarung mit Ankara. Die Pläne seien ein willkommener Ansatz, den "Strom der Migranten" zu beenden und "das Geschäftsmodell der Schleuser zu durchbrechen", sagte Hennis-Plasschaert.

Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten am Montag beim Gipfel in Brüssel beschlossen, sich bis Ende kommender Woche endgültig auf eine neue Vereinbarung mit der Türkei zu einigen. Es geht dabei um die von der Türkei angebotene Rückführung aller Migranten, die unerlaubt aus der Türkei auf die griechischen Inseln übersetzen und eine geordnete Aufnahme von syrischen Flüchtlingen direkt aus der Türkei in der EU. Zudem will Ankara Visa-Freiheit für türkische Bürger ab Juni, die Ausweitung der Beitrittsgespräche auf fünf neue Bereiche sowie die Verdoppelung der Hilfen für Syrien-Flüchtlinge in der Türkei auf sechs Milliarden Euro.

qu/uh (dpa, afp ,rtr, epd)