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Politik

"Jamel rockt den Förster"

Jefferson Chase kk
26. August 2017

In Jamel in Mecklenburg-Vorpommern findet jedes Jahr ein Festival gegen die Rechtsradikalen statt, die den kleinen Ort bevölkert haben. An den Fakten ändert das Musik-Festival wenig. Aber es macht Mut.

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11. Open-Air-Musikfestival "Jamel rockt den Förster"
Bild: DW/J. Chase

Besucher eines Rockkonzerts interessieren sich in der Regel vor allem für die Musik: Wer tritt auf? Wie lange spielen die Gruppen? Und in welcher Reihenfolge? Bei dem Festival "Jamel rockt den Förster” ist alles anders: Das Programm ist streng geheim. Dennoch sind seit elf Jahren in Jamel immer alle Tickets ausverkauft.

Die größten Stars des Festivals sind ohnehin die beiden Organisatoren, Birgit und Horst Lohmeyer. Seit dem Jahr 2007 veranstalten sie das Musik-Event Sommer für Sommer auf dem Gelände ihres Bauernhofes. Auf die Idee kamen sie damals, als in ihr 40-Seelen-Dorf nach und nach Neonazis und Menschen mit rechtsextremer Gesinnung zogen. Die Lohmeyers wollten sich von ihnen nicht aus der idyllischen Landschaft vertreiben lassen. Sie beschlossen sich zu wehren - und hoben das Festival aus der Taufe.

Öffentlichkeit gegen Rechtsextreme

"Es wäre utopisch zu glauben, dass wir mit irgendwelchen Kulturaktionen oder politischen Aktionen die Einwohnerstruktur des Dorfes ändern könnten", sagt Birgit Lohmeyer im Gespräch mit der DW. Anfangs gab es kaum Widerstand gegen den Zuzug der Rechtsextremen. "Da kamen wir auf die Idee, dass wir zumindest Öffentlichkeit schaffen müssen für das Problem, dass Nazis gezielt gesellschaftliche Plätze besiedeln."

11. Open-Air-Musikfestival "Jamel rockt den Förster" Lohmeyers
Die Organisatoren Horst und Birgit LohmeyerBild: DW/J. Chase

Große Solidarität

Dieses Problem der Lohmeyers hat dieses Jahr wieder rund 1000 Menschen nach Jamel gelockt, so auch die 27-jährige Laura aus Köln. "Wenn man jeden Morgen aufsteht und weiß, dass man nicht erwünscht ist und nicht gemocht wird, ist man auf Hilfe angewiesen", sagt sie. "Da ist man froh, wenn es Leute gibt, die einen unterstützen. Deswegen sind wir hier."

Die Lohmeyers haben nicht nur ihre eigene Stimme erhoben, sondern weitere Stimmen nach Jamel geholt. Rap, Power Pop, Punk - die Stile sind unterschiedlich. Aber alle, die hier auftreten, verbindet eines: Sie spielen laut. Sehr laut.

Verhältnisse auf den Kopf stellen

In den vergangenen zehn Jahren stammten viele Besucher vor allem aus der Antifa-Szene. Dann aber wurde das Festival für bekannte deutschsprachige Rockgruppen immer attraktiver. Als 2015 das Haus der Lohmeyers durch nie aufgeklärte Brandstiftung völlig zerstört wurde, erklärte sich die Band "Die Toten Hosen" bereit, auf dem Festival aufzutreten. Seitdem gehört das Festival für jede linke deutsche Band, die etwas auf sich hält, zum Pflichtprogramm.

Thomas Wenzel, Bassist der Gruppe "Die Sterne" sagt, es fühle sich gut an, die Lohmeyers zu unterstützen. "Ich stelle mir vor, es ist ziemlich bedrückend hier zu wohnen. Wir und die anderen Bands sind hier, um das sozusagen umzudrehen."

Am ersten Festivaltag sind die Nachbarn nirgends zu sehen. Doch ein Graffiti in nationalsozialistischer Manier - eine Familie mit einigen kleinen Kindern - lässt ihre rechte Gesinnung erahnen. Die einzigen Wahlplakate, die hier hängen, stammen von der flüchtlings- und EU-feindlichen "Alternative für Deutschland" (AfD). Es ist das Land der extremen Rechten - mit den Lohmanns als einziger politischer Opposition.

11. Open-Air "Jamel rockt den Förster"
Play it loud: Felix Brummer, Sänger der Band "Kraftklub"Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Erinnerungen an Rostock 1992

Zu denen, die bereits recht früh auf dem Festivalgelände sind, gehört ein Pärchen mittleren Alters aus der nahe gelegenen Stadt Grevesmühlen. Sie sind zum ersten Mal hier und wollen sich selbst einen Eindruck verschaffen von den Verhältnissen vor Ort. Ob Jamel denn wirklich so schlecht ist wie sein Ruf? Nein, entgegnet die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Dennoch würden sie und ihr Freund den Ort sonst lieber umfahren.

Eines stellt sich nach den ersten Klängen schnell heraus: Sollten Nachbarn das Spektakel hinter den Vorhängen beobachten, werden sie kaum mit früher Nachtruhe rechnen können. Das Konzert beginnt mit der Punk-Band "Zaunpfahl" aus Rostock. Wohl kein Zufall: Dort wird derzeit der rechtsextremistischen Angriffe auf ein Heim mit überwiegend vietnamesischen Flüchtlingen vor 25 Jahren gedacht.

Die auftretende Gruppen treffen auf ein dankbares Publikum. Die Menge klatscht, singt "Nazis raus" und zieht sich auf Ansage sogar die T-Shirts vom Leib, um sie in der Luft zu schwenken. Das Publikum umfasst alle Altersschichten - und scheint alle Bands zu mögen, ganz unabhängig davon, welchen musikalischen Stil sie spielen. 

"Jamel rockt den Förster" - Rock gegen Rechts
Das Publikum in Jamel: "Nazis? Nein danke"Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Ermutigende Erfahrung

Aber kann man mit dem Besuch eines Festivals wirklich ein ernsthaftes Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen? Das Publikum, das nach Jamel gekommen ist, um dort ein, zwei nette Sommernächte zu verbringen, sieht es so.

Die Lohmeyers selbst ziehen Kraft aus der Unterstützung der Fans. Birgit Lohmeyers liebste Erinnerung aus den vergangenen elf Jahren war das Konzert der "Toten Hosen". Am Ende des Konzerts bat Sänger Campino das Ehepaar, auf die Bühne zu kommen. "Wir sahen ein Meer von Bannern und dazu die euphorischen Gesichter applaudierender Menschen", erinnert sich Lohmeyer. "Es war wunderbar, zu spüren, wie viel Kraft in der Unterstützung all der Leute mitschwang."