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Politik

Gegen das Vergessen

Diana Hodali
7. Mai 2010

Trotz aller Restaurierungsversuche hat Beirut den Krieg noch nicht vergessen. Damit die Libanesen ihre Vergangenheit nicht ausblenden, haben zwei Cousins eine Disco gebaut: Ausgerechnet dort, wo ein Massaker stattfand.

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Alter zerstörter Kinosaal in Beirut (Foto: Diana Hodali)
Der alte Kinosaal steht auf der "Grünen Linie" und wurde im Bürgerkrieg zerstörtBild: DW/D. Hodali

20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges und fast vier Jahre nach dem Krieg mit Israel machen reiche Araber und Exil-Libanesen wieder Urlaub in Beirut. Sie feiern in den Bars, Clubs und Spielcasinos. Der 2005 ermordete Ministerpräsident Rafik al-Hariri hatte mit seiner Baufirma Solidère in den vergangenen 15 Jahren alles daran gesetzt, die Innenstadt zu renovieren. Die bösen Erinnerungen an die Vergangenheit sollten überbaut werden. Die Wunden der Stadt sollen heil gepflegt werden, nichts soll mehr an die Vergangenheit erinnern, an die 15 Jahre Bürgerkrieg von 1975 bis 1990. Lediglich die Zukunft zählt.

Mit dieser Art des Wiederaufbaus will der Architekt Bernard Khoury nichts zu tun haben: "Wenn man durch die so genannte Innenstadt läuft, die die Firma Solidére renoviert hat, dann bekommt man den Eindruck, dass die Geschichte des Libanon mit dem französischen Mandat endet", beschwert sich der in Beirut geboren libanesische Christ, der an der Harvard Universität in den USA Architektur studierte.

Denkmal in Beirut an Attentat auf Hariri 2005 (Foto: Birgit Kaspar)
Vor dem St. Georges Hotel erinnert heute ein Denkmal an das Attentat auf Rafik al-HaririBild: Birgit Kaspar

Ruinen oder "Schönheitschirurgie"?

Wenn man genauer hinschaut, sieht man in manchen Stadteilen doch noch die Spuren des Krieges. Auf der "Grünen Linie", der ehemaligen Demarkationslinie zwischen dem damals rein muslimischen West-Beirut und dem christlichen Ost-Beirut, stehen noch viele Häuserruinen und mittendrin ein auf Pfeilern aufgestellter Kinosaal, der im Bürgerkrieg beschossen wurde. Die Einschusslöcher sind noch zu sehen, der Saal ist völlig ausgebrannt. Gegenüber steht eine in Trümmern liegende Kirche. Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt sieht man laut Khoury kein einziges Gebäude, das etwas mit der jüngsten Vergangenheit der Libanesen zu tun hat. "Ein wichtiger Teil unserer Geschichte wird einfach ausgeblendet", sagt Khoury, "und das zeigt mal wieder, wie schwer es uns als Arabern fällt, in der Gegenwart zu leben". An dieser Art der "sterilen und schlechten Schönheitschirurgie" ist der libanesische Architekt nicht interessiert.

Ein Ort mit Geschichte

Stattdessen hat Khoury 1998 mit seinem Cousin Naji Gibran eine Art Denkmal gegen das Vergessen errichtet, einen Ort, der die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet - das B 018, Beiruts ungewöhnlichstem Nachtclub. Der Club ist "unter Tage" – mitten auf einem Parkplatz. Auf dem rostfarbenen Dach, das sich auf Knopfdruck öffnet, steht groß in weißer Farbe B 018. Doch der Club fällt nicht nur optisch auf. Das B 018 wurde auf dem Platz des Massakers von Karantina errichtet, vor den Toren Beiruts. Am 18. Januar 1976 kam es genau dort zu den gewalttätigsten Kämpfen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und libanesischen Christen. Christliche Milizen isolierten Palästinenserlager, Palästinenser griffen christliche Dörfer an. Ob das seine Gäste wissen, da sei er sich nicht sicher, sagt Besitzer Naji Gibran: "Bernard versucht bei allen seinen Gebäuden die Geschichte mit einzubeziehen und sie zu erzählen", sagt er.

Naji Gibran ist der Besitzer des B 018 (Foto: Diana Hodali)
Naji Gibran ist der Besitzer des B 018 in BeirutBild: DW/D. Hodali

Der libanesische Soziologe Antoine Messara ist froh, dass es solche Orte wie das B 018 gibt: "Wir müssen uns mit unserer Vergangenheit versöhnen, mit der guten und der schlechten. Es kann nicht sein, dass jedes Regime die Geschichte in Teile zerlegt." Bis heute können sich die Libanesen auf keine gemeinsame Geschichte einigen. Und daher findet das Thema "Bürgerkrieg" in den Schulklassen einfach nicht statt. Messara hält das für gefährlich.

Feiern wie damals

Jeden Donnerstag findet im B 018 die 1980-er Party statt. Der Parkplatz füllt sich binnen weniger Minuten. Eine Stahltreppe führt hinab in den dunklen Raum. Der Boden besteht aus Pflastersteinen, die Wände sind aus Holz, die Tische - robuste Kisten. Der DJ legt einen Hit nach dem anderen auf. Gerade läuft "You’re in the Army now" von der Band "Status Quo" aus dem Jahr 1981. Die Decke über der gegenüberliegenden, erhöhten Bar besteht aus vielen kleinen silbernen Platten. Immer wieder öffnen die Barkeeper sie. Dann kommt der Himmel zum Vorschein.

Die jungen Libanesen tanzen auf den Tischen

 Auf dem Tresen räkelt sich eine leicht bekleidete Tänzerin in einem neonfarbenen Outfit. Der 46-jährige Naji Gibran hat sich bewusst für die Musik der achtziger Jahre entschieden, Musik aus seiner Zeit als junger DJ: "Das ist die beste Musik, um sich an die vergangene Zeit zu erinnern, nicht nur an den Krieg, sondern auch an die Zeit, die wir damals hatten."

Der Saal des B 018 in Beirut (Foto: Diana Hodali)
Partystimmung im B 018 - jeden Donnerstag ist dort 80er-PartyBild: DW/D. Hodali

Die Zukunft zählt

Im B 018 sind alle Altersklassen vertreten - und an diesem Abend sind auch die beiden 25-jährigen Heimkehrer Lara und Ezzad zu Gast. Sie waren Kinder, als der Bürgerkrieg zu Ende ging und studierten nachher in Dubai. Sie wissen gar nicht genau, was eigentlich damals in Karantina passiert ist. "Ich wurde 1984 geboren und habe mich an alles hier gewöhnt", sagt Lara. Sie denke nicht mehr darüber nach, was im Libanon einmal geschehen sei. "Wenn ich ausgehe, möchte ich Spaß haben - und das geht den meisten Libanesen genauso."

Gibran hat nichts dagegen, dass die Leute in den Club kommen, um sich den Frust von der Seele zu tanzen. Im Gegenteil: Seinen ersten Club eröffnete der libanesische Christ während des Bürgerkrieges in den Achtzigern in seiner kleinen Wohnung in Ostbeirut. Die Wohnung trug die Hausnummer B 018 - daher auch der Name. "Musiktherapie" gegen den Krieg, nannte er das damals. Und so ist es auch heute noch: "Ich mag, dass sich der Ort verändert hat. Früher ging es hier nur um Massaker und Krieg, jetzt kommen die Leute hierher, um zu tanzen. Meine Botschaft lautet: Frieden - wir wollen Frieden."