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Neues Zentrum für verfolgte Künste in Solingen

Stefan Dege8. Dezember 2015

Selten war ein Museumsprojekt in Europa aktueller: In Solingen hat das "Zentrum für verfolgte Künste" eröffnet. Im Mittelpunkt stehen Werke von Malern, Bildhauern und Literaten, die unter den Nazis litten.

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Deutschland Solingen Zentrum für verfolgte Künste Milly Steger
Bild: Zentrum für verfolgte Künste/DW/S. Dtege

Hausherr ist das Kunstmuseum der Stadt, eigentlich ein Provinzmuseum, das dem Kunstschaffen der Region verpflichtet ist. Ab sofort aber richtet es seine Bestände an Büchern, Zeichnungen, Skulpturen und Gemälden ganz auf die neue Aufgabe aus: Werk und Leben der vom NS-Regime drangsalierten Künstler sollen erforscht und ausgestellt werden. "Auch möchten wir die Folgen von Unterdrückung für das künstlerische Schaffen aufzeigen", sagt Museumsdirektor Rolf Jessewitsch.

Werke bekannter Künstler wie Else-Lasker-Schüler, Otto Pankok oder Georg Meistermann hängen bereits in der Belle Etage des mehrfach erweiterten Jugendstilbaus. Andere, weniger bekannte Künstlernamen wird man sich merken müssen - Carl Rabus, Fritz Duda, Hans Feibusch oder auch Oscar Zügel. Für seine Bilderserie "Genotzüchtigte Kunst" malte Zügel den Nazi-Oberen Joseph Goebbels in kubististischer Manier als Zerrbild des tollwütigen Machtmenschen. Titel: "Der Propagandaminister". Wie viele Künstlerkollegen musste Zügel 1934 aus Deutschland fliehen. Kritik war lebensgefährlich im NS-Staat.

Deutschland Solingen Zentrum für verfolgte Künste
Bild: DW/S. Dtege

Ästhetik des Widerstandes

Doch nicht nur die dunklen Jahre zwischen 1933, der Machtergreifung Hitlers und dem Kriegsende 1945 nimmt das "Zentrum für verfolgte Künste" ins Visier. Bereits in den 1920er Jahren setzt das Zentrum an, als die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg noch frisch war und das Schaffen der Künstler prägte. Der Begriff der Verfolgung wird in Solingen weiter gefasst: Auch Künstler, die unter dem DDR-Regime litten, rückt das Museum ins Blickfeld - den Thüringer Karl Ortelt etwa, der sich dem Sozialistischen Realismus verweigerte, einer Kunstrichtung, die den Arbeiter zum Helden stilisierte. Weil er malte, wie er wollte, musste er seinen Lehrstuhl in Weimar verlassen. Ein anderes Beispiel ist die expressiv malende Marianne Herberg. "Für uns ist spannend", sagt Museumsleiter Jessewitsch," wie aus der Unterdückung eine Ästhetik des Widerstandes entstanden ist."

Deutschland Solingen Zentrum für verfolgte Künste Rolf Jessewitsch
Museumsdirektor Rolf JessewitschBild: DW/S. Dtege

Ideengeber für das Zentrum für Verfolgte Künste" war schon vor Jahren der Wuppertaler Journalist Hajo Jahn, Vorsitzender der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Ihm schlossen sich der Landschaftsverband Rheinland und die Stadt Solingen an, als sie Anfang dieses Jahres die "Zentrum für verfolgte Künste GmbH" gründeten. Ihr Anliegen ist es, das rheinische Kulturerbe zu erhalten. Schon jetzt betreut das Zentrum die Solinger "Bürgerstiftung für verfolgte Künste - Else-Lasker-Schüler-Zentrum - Kunstsammlung Gerhard Schneider." Letztere umfasst allein 3000 Werke. Hinzu kommt die Literatursammlung Jürgen Serke.

Deutschland Solingen Zentrum für verfolgte Künste
Milly Steger: Weiblicher AktBild: DW/S. Dtege

Kombination aus gestern und heute

Daraus schöpft das Museum sein Potenzial und kombiniert es mit aktuellen Sonderschauen: "Spots of Light" etwa, die Multimedia-Show des israelischen Yad Vashem beleuchtet 45 Lebensschicksale von Frauen, die unter dem Naziterror litten. Die Ausstellung "Der Tod hat nicht das letzte Wort" zeigt, wie Künstler aus Polen, Israel und Deutschland heute - 70 Jahre nach der Befreiung von Ausschwitz - mit der Tötungsmaschinerie der Nazis umgehen. Auch sind die Originalzeichnungen der Graphic Novel "Zweite Generation" des israelischen Karikaturisten Michel Kichka, Sohn eines Holocaustüberlebenden, zu sehen.

Von außen wirkt das hinter winterkahlen Bäumen verborgene Kunstmuseum Solingen wie ein Dornröschenschloß. Wie hochaktuell aber sein Zentrumsprojekt ist, zeigt schon, wer die offizielle Eröffnungsrede am Dienstag (08.12.2015) gehalten hat: Bundestagspräsident Lammert reiste – auf dem Höhepunkt der aktuellen Flüchtlingskrise - aus dem fernen Berlin an, im Gepäck die Festrede - und einen Millionenscheck für weitere Ankäufe.