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"Gefahr ist sehr hoch, nicht nur in Brüssel"

Diana Hodali22. März 2016

Schwache Sicherheitsbehörden und eine große Dschihadisten-Szene: Diese Kombination macht Brüssel zum Terror-Ziel, sagt SWP-Experte Guido Steinberg. Der Anschlag sei auch eine Warnung an Deutschland.

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Maelbeek Metro Station in Brüssel (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/RTL Belgium

Herr Steinberg, glauben Sie, es besteht eine Verbindung zwischen der Festnahme von Salah Abdeslam und den Terroranschlägen in Brüssel?

Es kann durchaus sein, dass die Festnahme die Ausführung der Tat beschleunigt hat. Aber man braucht für die Vorbereitung solcher Anschläge mehr Vorlaufzeit. Man muss die Bomben bauen, die Ziele beobachten und die Attentäter vorbereiten. Deswegen gehe ich fest davon aus, dass diese Anschläge lange vor der Festnahme geplant waren.

Musste man in Brüssel nicht wegen der Festnahme mit Anschlägen rechnen?

Die Brüsseler Behörden haben die Gefahr durchaus erkannt. Es stand ohnehin die These im Raum, dass Salah Abdeslam weitere Anschläge plant. Und so wie es scheint, ist auch noch mindestens ein gut ausgebildeter Bombenbauer auf der Flucht. Das wussten die belgischen Behörden und deshalb war auch abzusehen, dass etwas passiert. Das Problem ist nur, dass es in einer Stadt wie Brüssel so viele mögliche Anschlagsziele gibt, dass die Schutzmaßnahmen nicht immer ausreichen.

25.04.2013 DW Quadriga Studiogast Guido Steinberg
Terrorismus-Experte Guido SteinbergBild: DW

Nach den Anschlägen von Paris liefen auch die Ermittlungen in Belgien auf Hochtouren. Müssen wir dann davon ausgehen, dass das Netzwerk der Terroristen viel größer ist, als man angenommen hat?

Das Netzwerk ist größer als das noch im November schien, als es in Paris zu den Anschlägen kam. Es war bekannt, dass es im Umfeld der Pariser Zelle einige Personen gibt, die die Attentäter auch logistisch unterstützt haben. So wie es scheint, haben wir es aber mit noch sehr viel mehr Personen zu tun. Das besonders Besorgniserregende ist, dass wir nicht wissen, wie groß das Umfeld derjenigen Leute ist, die dazu bereit sind, solche Anschläge zu begehen. Und es ist vor allem ein Problem, dass mindestens eine Person mit Kenntnissen im Bombenbau unter ihnen ist. Das ist wahrscheinlich jemand, der in Syrien ausgebildet worden ist.

In Europa rechnet man ohnehin damit, dass es zu weiteren Anschlägen kommen wird.

Ich gehe auch fest davon aus, dass eine Gefahr existiert. Mein erster Eindruck am Morgen war, dass dieser Anschlag weit hinter dem zurückliegt, was in Frankreich passiert ist, aber mit den Nachrichten über die steigenden Opferzahlen kann ich diese These nicht mehr halten. Das ist ein sehr gut geplanter und organisierter Anschlag. Solange Menschen mit Erfahrung im Bombenbau und im bewaffneten Kampf frei herumlaufen, ist die Gefahr sehr hoch, nicht nur in Brüssel, sondern auch überall dort, wohin man von Brüssel aus fliehen kann.

Auch am Flughafen Charles de Gaulle wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt (Foto: DPA)
Auch am Flughafen Charles de Gaulle in Paris wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärktBild: picture-alliance/epa/E. Laurent

Sind die belgischen Sicherheitsbehörden denn dafür ausgerüstet mit einem Terror-Netzwerk dieser Größe umzugehen?

Nein, ganz offensichtlich nicht. Es ist trotzdem problematisch, den Belgiern Vorwürfe zu machen, weil die Anzahl der belgischen Dschihadisten, die nach Syrien ausgereist sind, die sich dort haben ausbilden lassen und dann von dort zurückkehren, sehr groß ist - in absoluten Zahlen und besonders im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Das ist ein Problem, das nicht nur Belgien hat, sondern auch andere kleinere europäische Länder mit etwas schwächeren Sicherheitsbehörden. Es wird in den kommenden Jahren notwendig sein, dass einige Länder ihre Sicherheitsbehörden sehr viel effektiver ausstatten als bisher. Das gilt für Belgien, Dänemark und auch Österreich. Wenn man sich aber anschaut, wie groß die Probleme sind, die die Franzosen haben, trotz ihrer erprobten und sehr professionellen Sicherheitsbehörden, dann erscheinen auch die Schwächen der belgischen Sicherheitsbehörden in einem anderen Licht.

Welche Maßnahmen könnte man denn jetzt noch einführen, um eine engere Zusammenarbeit und einen engeren Austausch der europäischen Sicherheitsbehörden zu garantieren?

Seit den Anschlägen in Paris am 13. November wissen wir, dass der Informationsaustausch nicht einwandfrei funktioniert. Dabei war seit 2001 die Kooperation der Sicherheitsbehörden enorm intensiviert worden, ebenso der Datenaustausch. Da wird etwas geschehen müssen. Aber das große Problem ist darüber hinaus die Effektivität einzelner Behörden. Belgien ist sehr viel schwächer aufgestellt als Frankreich. Und da es keine kontrollierte Grenze zwischen beiden Ländern gibt, hat das auch sofort Auswirkungen auf die Sicherheitslage beim Nachbarn. Deutschland ist auch schlechter aufgestellt als Frankreich. Das ist ein Warnzeichen, das die Deutschen und die anderen Europäer rechtzeitig beachten sollten.

Stehen denn andere europäische Städte genauso im Fadenkreuz der Terroristen wie Brüssel?

Sicherlich nicht in dem Ausmaß wie Brüssel. Die Sicherheitsbehörden sind schwach, die Politik ist orientierungslos und die Dschihadisten-Szene ist groß: Diese Kombination gibt es nirgendswo sonst. Aber auch woanders gibt es wachsende dschihadistische Milieus - das wird in den kommenden Jahren viele Probleme schaffen, nicht nur in Belgien.

Aber egal wie eng Sicherheitsbehörden miteinander arbeiten, solche sogenannten weichen Ziele wird man doch nie wirklich schützen und sichern können.

Man kann natürlich nicht alle weichen Ziele in einer modernen westlichen Großstadt schützen. Wobei man an einem Flughafen natürlich auch schon das Gepäck am Eingang kontrollieren könnte. Jeder, der schon mal im Nahen Osten war, weiß, dass das geht. Das ist aber auch kein Garant für Sicherheit. Die hohe Kunst wird es jetzt sein, die Täter frühzeitig zu erkennen und sie trotz aller rechtlichen Beschränkungen möglichst effektiv zu bewachen. Da haben die europäischen Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren versagt. Tausende Europäer konnten nach Syrien reisen. Sie wurden ausgebildet und kommen zum Teil unbemerkt nach Europa zurück. Ohne effektivere Nachrichtendienste, die bei der Früherkennung helfen, werden wir dieses Problem nur sehr schwer in den Griff bekommen.

Guido Steinberg ist Nahost- und Terrorismus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Von 2002 bis 2005 war er Referent für internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt.

Das Gespräch führte Diana Hodali.