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Gefährlicher Trend zur Re-Nationalisierung

12. Mai 2011

Erst Personenkontrollen, am Ende wieder Zollabgaben? Die dänischen Genzkontrollen sind nur das jüngste Beispiel für die zunehmende Re-Nationalisierung in der EU. Bernd Riegert kommentiert.

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Symbolbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Auf Druck der dänischen Rechtspopulisten führt die Regierung verstärkte Zollkontrollen und Überwachung an den dänischen Grenzen wieder ein. Die Innenminister der EU schweigen dazu. Rein rechtlich ist dagegen wahrscheinlich nicht viel zu machen, weil Dänemark eben keine Grenzpolizisten, sondern nur Zollbeamte aufbietet. Außerdem hat Dänemark einen Sonderstatus inne, weil es den Schengen-Vertrag zwar anwendet, aber rein juristisch keine vollständige Vertragspartei ist. Die Wirkung dieser Maßnahme ist aber fatal.

Gefährliche Anregung

Bernd Riegert (Foto: DW)
Bernd RiegertBild: DW

Frankreich, Italien und auch Deutschland fühlen sich ermutigt, die Schengen-Regeln zu lockern und immer, wenn es genehm erscheint, Grenzkontrollen an den Binnengrenzen zeitweise wieder einzuführen. Auch wenn die EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecila Malmström, das Gegenteil behauptet, legen einige EU-Staaten damit die Axt an einen symbolträchtigen Pfeiler der europäischen Einigung. Der Reiseverkehr ohne Passkontrolle ist ein Identität stiftendes Merkmal der Europäischen Union.

Schwindende Solidarität

Leider ist der Zwist um Schengen nur ein Glied in einer Kette von Konflikten, die darauf hinauslaufen, dass die Nationalstaaten die Gemeinsamkeiten in der Union aufgeben und nur ihren eigenen Interessen folgen. Re-Nationalisierung ist das Schlagwort. Die keineswegs gemeisterte Schuldenkrise stellt die Europäische Union und die Währungsunion vor ein unglaubliche Zerreißprobe. Es fehlt nicht mehr viel, dann kündigen die zahlenden Staaten die Solidarität mit den Empfängern auf. Finnland setzt da den Trend. Dort lehnen die Rechtspopulisten Rettungsschirme für Südeuropa ab und erschweren die Regierungsbildung. Widerstand formiert sich aber auch in anderen Staaten, nicht zuletzt in Berlin.

Bedeutungsverlust des Parlamentes

Nationale Interessen regieren auch in der Außenpolitik der EU-Staaten. Von gemeinsamen Handeln kann nicht die Rede sein. Frankreich preschte in der Libyenfrage vor. Deutschland stimmt im UN-Sicherheitsrat nicht mit den europäischen Partnern. Eine gemeinsame Politik gegenüber den arabischen Staaten und Nordafrika ist nicht erkennbar. Beim Thema Flüchtlinge und Asylpolitik herrscht seit Jahren Stillstand, weil keine nationale Regierung Kompetenzen abgeben will. Das Tragische ist, dass diese Entwicklung sich nach der Verabschiedung des neuen Grundlagenvertrages der EU noch beschleunigt hat. Seit dem Vertrag von Lissabon, der kurz vor der Finanzkrise in Kraft trat, geht es bergab mit der europäischen Integration. In den Institutionen in Brüssel bestimmen die Vertreter der nationalen Regierungen das Geschehen. Das demokratisch gewählte Europäische Parlament wird an den Rand gedrängt. Der EU-Ratspräsident und seine Außenministerin sind abgetaucht.

In immer mehr Mitgliedsstaaten gewinnen die europaskeptischen Rechtspopulisten an Rückhalt: Finnland, Schweden, Dänemark, Niederlande, Frankreich, Italien, Ungarn. Das sind nur einige Staaten, in denen rechte oder europaskeptische Parteien stärker werden.

Was kommt noch?

Nach dem Schengen-Debakel muss man befürchten, dass die Re-Nationalisierung bald den Kern der Europäischen Union treffen wird, und zwar den gemeinsamen Binnenmarkt. Der freie Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen könnte europaskeptischen Kräften bald ein Dorn im Auge sein. Warum nicht die eigene Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz schützen? Vielleicht mit Zöllen? Das würde Europa um Jahrzehnte zurückwerfen, könnte aber in dem ein oder anderen nationalen Wahlkampf Punkte bringen.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Sabine Faber