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Gauck – Bundespräsident auch der deutschen Muslime?

Loay Mudhoon 23. März 2012

Der neue Bundespräsident Gauck wird die integrationspolitische Linie seines Vorgängers Christian Wulff, wonach der Islam zu Deutschland gehöre, fortsetzen müssen. Denn diese bleibt ohne Alternative, meint Loay Mudhoon.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)

Viele deutsche Bürger mit muslimischem Hintergrund sind von den fast zyklisch wiederkehrenden Debatten gekränkt, wenn es um ihre angebliche Integrationsunwilligkeit und vermeintliche Unvereinbarkeit ihrer Religion mit den Werten der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit geht.

Daher war es nicht verwunderlich, dass Vertreter der deutschen Muslime den Rücktritt Christian Wulffs bedauert haben. Aus ihrer Sicht war der Ex-Bundespräsident nämlich eine wichtige politische Integrationsfigur, weil er mit seinem Satz "Der Islam gehört auch zu Deutschland" richtungsweisende Signale für die Akzeptanz des Islam hierzulande gesetzt habe.

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland hob vergangene Woche die Verdienste Wulffs noch einmal hervor und bezeichnete ihn als "unseren" Bundespräsidenten. Auch wenn Wulffs Feststellung eine schlichte Beschreibung der Realität des modernen Deutschland ist - aus Sicht der deutschen Muslime war sein Bekenntnis zu ihrer Religion als Teil dieses Landes alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Vor allem weil sie zeitlich mit dem Höhepunkt der sogenannten Sarrazin-Debatte zusammenfiel. Der Ökonom und Ex-Politiker Sarrazin hatte in einem Buch krude Thesen über ethnisch bedingte Intelligenz verbreitet. Daraufhin setzte ein Diskurs ein, den die meisten Muslime als verletzend und sogar diskriminierend empfanden.

Sehnsucht nach Zugehörigkeit

Vor diesem speziellen Hintergrund lassen sich die Reaktionen der muslimischen Migrantenvertreter auf Wullfs Abgang begreifen. Sie befürchten, dass ihnen ein Fürsprecher auf Bundesebene fehlen wird, der in der Lage ist, symbolische Akzente der Anerkennung und Versöhnung auf höchster staatlicher Ebene zu setzen. Schließlich sind die Gesten der Anerkennung von besonderer Bedeutung für die große Anzahl gut integrierter Muslime hierzulande, die nicht verstehen können, weshalb sie angeblich nicht zu Deutschland gehören.

Loay Mudhoon (Foto: DW)
DW-Islamexperte Loay MudhoonBild: DW

Hinzu kommt, dass der institutionalisierte Dialog zwischen dem deutschen Staat und seinen muslimischen Bürgern im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz seit zwei Jahren auf der Stelle tritt. Die muslimischen Teilnehmer an diesem staatlich organisierten Dialog gehen inzwischen davon aus, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kein aufrichtiges Interesse am Erfolg der Einbürgerung des Islam in Deutschland hat.

"Präsident aller Bürger"

Von Sarrazins Thesen, die von muslimischer Seite als rassistischer Tabubruch angesehen werden, hat sich Joachim Gauck längst unmissverständlich distanziert. Noch wichtiger war allerdings seine überraschende Teilnahme an der Trauerfeier für die Opfer des rechtextremen Terrors kürzlich in Berlin. Damit setzte er ein Zeichen für Anteilnahme und Respekt.

Wulffs Integrationsansatz, wonach der Islam zu Deutschland gehöre, liege auch ihm am Herzen, betonte Gauck nach seiner Wahl. Das ist auf jeden Fall ein guter und zugleich alternativloser Anfang. Muslime erwarten natürlich zu Recht, dass es sich dabei nicht um eine inhaltsleere Attitüde handelt, sondern um eine aufrichtige und konsequente Grundhaltung des neuen Staatsoberhaupts.

Gauck will Präsident aller Bürger werden. Die rund vier Millionen Muslime in Deutschland werden seine Worte und Taten ganz genau beobachten.