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Freiheit im Käfig

Chang Ping30. April 2015

In China sind Journalisten zunehmend Repressalien ausgesetzt. Aber auch die Schere im Kopf sorgt für eine weitgehend kritikfreie Berichterstattung. Der Journalist Chang Ping blickt aus dem Exil auf seine Heimat.

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Demonstration in Guangzhou für die Zeitung Southern Weekly (Foto: Getty)
Bild: STR/AFP/Getty Images

Als ich noch jung war, habe ich "Ein Hungerkünstler" von Franz Kafka gelesen. Am Ende der Erzählung wird geschildert, wie ein junger Panther nach dem Tod des Hungerkünstlers in einem Käfig eingesperrt wurde. Da schrieb Kafka: "…nicht einmal die Freiheit schien er zu vermissen; dieser edle, mit allem Nötigen bis knapp zum Zerreißen ausgestattete Körper schien auch die Freiheit mit sich herumzutragen; irgendwo im Gebiß schien sie zu stecken…" Von diesen Worten mitgerissen, entschied ich mich damals, von dem jungen Panther zu lernen und meine Freiheit mit mir herumzutragen.

Mit Hilfe dieser Freiheit hatte ich zuerst Gedichte und Romane geschrieben - später stieg ich in den Journalismus ein. Bald entdeckte ich ein Geheimnis: Anders als der Käfig, in dem der junge Panther anscheinend mit Freude lebte, werden wir von einem Käfig eingesperrt, der sich verwandelt. Er umgibt uns ständig und wird immer wieder enger - ohne dass wir es merken. Vor zehn Jahren diente das Internet als Instrument gegen die Einschränkung der Freiheit, heute nutzt es der Staatsapparat, um angeblich die Stabilität zu sichern. Vor zehn Jahren waren Pressefreiheit, Zivilgesellschaft, Tibet und Xinjiang zwar auch sensible Themen, aber über die durften die "Mainstream"-Medien noch diskutieren. Heute gibt es dafür keinen Raum mehr.

Entzug der Arbeitserlaubnis

Vor zehn Jahren wurde ich zwar schon einmal wegen kritischer Berichterstattungen entlassen, aber wenig später bekam ich die Chance, zwei politische Wochenmagazine herauszugeben, und dabei auch viele Kommentare zu schreiben. Heute habe ich nicht nur die Möglichkeit verloren, auf dem Festland Chinas journalistisch zu arbeiten und Artikel zu schreiben, sogar die Regierung in Hong Kong verweigerte mir die Arbeitserlaubnis in der Sonderverwaltungszone. Unter diesen Umständen bin ich mit meiner Familie ins Exil gegangen.

Chinesischer Journalist Chang Ping
Chang PingBild: imago/epd

Der Käfig verengt sich immer weiter, aber viele lassen sich von ihm täuschen. Die einen denken, der Käfig sei schon groß genug, um dort in Frieden und mit Freude zu leben und zu arbeiten, solange man seine Grenzen nicht berührt. Die anderen denken, der Käfig werde jeden Tag größer und damit auch die Freiheit. Manche haben zwar die Wahrheit erkannt, aber sie täuschen sich und die anderen. Es gibt auch Leute, die geben uns selbst die Schuld und sagen, der Käfig werde enger, weil wir ungehorsam seien.

Innerhalb und außerhalb des Systems

Diese Behauptungen führen dazu, dass der Käfig ständig kleiner wird. Aber die noch ungeheurere Tatsache ist, dass diese Gedanken eben in dem Käfig entstanden sind. Der Käfig beschränkt die Freiheit nicht nur durch die Gefangenschaft, sondern auch durch die Veränderung des Denkens. Er lässt die Menschen glauben, dass im Käfig ein Leben voller Frieden, Wohlstand und Glück möglich ist.

Die Menschen im Käfig müssen die Gehirnwäsche hinnehmen, während die Menschen außerhalb froh sind, nicht in dem Käfig eingesperrt zu sein. Für sie reicht es schon aus zu vermeiden, in den Käfig zu geraten. Was sie nicht erkennen, ist, dass der Käfig sich ständig verwandelt und immer mehr Teile der Welt verschluckt.

Freiheit als ewiger Kampf

Dem China im Käfig mangelt es nicht nur an Freiheit, sondern auch am Widerstand gegen den Käfig. Der Welt außerhalb droht nicht nur die Einengung der Freiheit, sondern auch die Schwächung des Freiheitsgeistes.

Früher habe ich gesagt, Kommentare zu schreiben ist mehr eine Aktion als Dichten. Es gleicht dem lauten Schreien auf der Straße. Geträumt habe ich immer davon, dass ich in mein Arbeitszimmer zurückkehren, in Ruhe lesen und schreiben kann, nachdem ich meine Freiheit erkämpft habe. Jetzt ist mir endlich klar, diese Freiheit existiert nicht auf dieser Welt. Die Freiheit steht eher für einen ewigen Kampf.

Chang Ping ist ein chinesischer Journalist und politischer Kommentator mit langjährigen Erfahrung in den Medien. Er lebt zur Zeit in Deutschland.