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Deutsche Diplomatie ohne Diplomaten

Deutschland Thorsten Benner GPPI Berlin
Thorsten Benner
21. Juli 2015

Die Bundesregierung muss dringend die richtigen Lehren aus dem diplomatischen Desaster der Griechenlandpolitik ziehen, fordert Thorsten Benner vom Global Public Policy Institute Berlin.

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Ministerpräsident Alexis Tsipras bei Angela Merkel in Berlin
Bild: Reuters/P. Kopczynski

Letzten Freitag stimmte der Bundestag mit klarer Mehrheit für die Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland über ein neues Rettungspaket. Dieses würde die deutschen Garantien auf mehr als 100 Milliarden Euro bringen. Doch anstatt minimale Anerkennung dafür zu finden, befindet sich das Deutschlandbild innerhalb Europas und darüber hinaus in einem rapiden Sinkflug. Deutschland wird als der harsche und herzlose Hegemon gesehen, der gnadenlos gegen kleinere Länder vorgeht, wenn sie die bittere deutsche Medizin von Budgetdisziplin und schmerzhaften Reformen verweigern.

Nach dem Krisengipfel vom 11./12. Juli explodierte die Kritik an Deutschland. Die Reaktionen in Portugal, das oft von der Regierung als Vorzeige-Krisenland angeführt wird, illustrieren einen breiteren Trend. Público, eine prominente Tageszeitung, sprach vom "Wochenende, an dem die europäische Idee starb" durch "mentales Waterboarding" von Seiten Deutschlands. Die Zeitung kürte zudem den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble zur "größten Gefahr für Europa". Der grüne Europaparlamentarier Reinhard Bütikofer argumentierte, dass das "herzlose, diktatorische und hässliche Deutschland wieder ein Gesicht hat, das von Schäuble".

Deutschlands Ruf geschädigt

Egal was man von solchen extremen Äußerungen halt, ist der entstandene Schaden am deutschen Ruf nicht von der Hand zu weisen. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, die Quellen des diplomatischen Versagens besser zu verstehen. Es fällt auf, dass keiner der Hauptakteure im Griechenlanddrama Diplomat ist. Drei Top-Politiker machten die Griechenlandpolitik am Krisenwochenende unter sich aus: Wolfgang Schäuble, Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

Sie verantworteten, dass am 10. Juli das eine Seite umfassende Schäuble-Memo mit dem scheinbar harmlosen Titel "Comments on the latest Greek proposal" im Namen der Bundesregierung in den Verhandlungsprozess eingebracht wurde. Das Papier wurde von Technokraten im Finanzministerium verfasst, die offenbar (wie ihr Minister) nach monatelangen quälenden und fruchtlosen Verhandlungen mit der griechischen Regierung hochemotionalisiert waren. Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) und die Berufsdiplomaten im Auswärtigen Amt spielten keine tragende Rolle in der Entscheidung, welche Botschaften Deutschland am Krisenwochenende in welchem Ton an den Rest Europas sendete. Das fällt auf, weil das Auswärtige Amt über Expertise im Bereich "public diplomacy" verfügt und laut eigener Webseite die "Aufgabe hat, dafür zu sorgen, dass Deutschland in der Europapolitik kohärent auftritt".

Wo war Steinmeier?

Es ist nicht weiter überraschend, dass das CDU-geführte Finanzministerium und das Kanzleramt keinen gesteigerten Wert auf eine prominente Rolle des Auswärtigen Amtes legten. Bemerkenswert ist vielmehr, dass SPD-Chef Gabriel nicht dafür sorgte, dass Außenminister Steinmeier auch öffentlich eine prominentere Rolle spielte. Offenbar hält sich Gabriel selbst für die bestmögliche Stimme in der Europapolitik, nachdem er zu Beginn der Krisenwoche den Entschluss gefasst hatte, Merkel mit populistischer Kritik an der griechischen Regierung rechts zu überholen.

Obwohl Steinmeier stark eingebunden war in die Endphase der Iran-Verhandlungen in Wien, hätte er sicherlich einige hilfreiche Anmerkungen zum Schäuble-Memo gehabt, das am Abend des 11. Juli von einem grünen Europaabgeordneten öffentlich gemacht wurde. Ein erfahrener Diplomat hätte problemlos einige der groben kommunikativen Fehler entdeckt, welche die Regierung hier beging.

Thorsten Benner, Global Public Policy Insititute Berlin
Thorsten Benner, Global Public Policy Institute BerlinBild: GPPI

Diplomatische Fehler

Erstens übersahen die Autoren des Memos, dass sich der politische Kontext grundlegend gewandelt hatte, nachdem Anfang der Woche die französische Regierung ihr gesamtes Gewicht hinter die griechischen Reformvorschläge und gegen ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion geworfen hatte. Jedes Eintreten für einen Grexit wurde fortan als gegen Frankreich gerichtet interpretiert und damit die europäische Einheit aufs Spiel gesetzt. Dessen ungeachtet enthält das Schäuble-Papier prominent die Option eines Grexit auf Zeit.

Zweitens flankierte die deutsche Regierung das Memo in keiner Weise durch Öffentlichkeitsarbeit. In der Konsequenz überließ sie damit die Deutungsmacht komplett den Kritikern auf Twitter und anderswo, die nicht zögerten, die schlechtesten aller möglichen Absichten in das Papier hineinzulesen.

Drittens mag das Memo zwar als Druckinstrument in den Verhandlungen mit einer widerspenstigen griechischen Regierung seinen Zweck erfüllt haben. Dennoch war es falsch, das Memo unilateral in die Diskussion einzubringen, statt ein gemeinsames Papier mit Staaten mit ähnlichen Ansichten zu verfassen. 14 Länder teilten am Krisenwochenende Kernelemente der deutschen Sichtweise, doch wurde dies von Deutschlands Alleingang überschattet.

Viertens: Ideologisch motivierte Retourkutschen, die Kritiker an der Heimatfront im Zaum halten sollen, können leicht zum Bumerang werden. Dies trifft auf den Privatisierungsfonds zu, welcher an prominenter Stelle im Schäuble-Memo ausgeführt wird. Das Papier schlägt vor, griechischen Staatsbesitz in Höhe von 50 Milliarden Euro an einen von der Institution for Growth in Luxemburg kontrollierten Fonds zu überschreiben. Die Privatisierungserlöse sollen dann zum Schuldenabbau genutzt werden. Eine der abenteuerlichsten Aspekte dieses Vorschlags ist die Tatsache, dass die Institution for Growth von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und damit dem deutschen Finanzminister kontrolliert wird (wobei die KfW selbst Produkt des Marshall-Plans ist, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine half). Kritiker brauchten nicht lange, um genüßlich die Ironie dieses selbstsüchtigen deutschen Vorschlags auszubreiten.

Schuld liegt bei Merkel

Kanzlerin Merkel trägt die politische Verantwortung für das diplomatische Desaster, das aus dem Schäuble-Memo und der deutschen Verhandlungstaktik resultierte. In einem Fernsehinterview am Sonntag argumentierte sie, dass es in der Krise nicht um "Beliebtheit und Schönheitspreise", sondern um das Treffen der richtigen Entscheidungen gehe. Das macht Sinn. Gleichwohl ist zu bedenken, dass die Rückeroberung der Trophäe für den "Hässlichen Deutschen" mit hohen politischen Kosten verbunden ist.

Die Reaktion auf das Schäuble-Memo sollte ein Warnschuss sein, eine Griechenland- und Europapolitik zu verfolgen, in der Berufsdiplomaten ein Gegengewicht zu emotionalisierten Technokraten und Politikern bilden. Als Europas Quasi-Hegemon ist Kritik an deutschen Positionen der Normalzustand. Aber es schwächt Deutschlands Position, wenn es als rachsüchtig, selbstgerecht und vor allem auf den eigenen wirtschaftlichen Vorteil in der Eurozone bedacht und nicht an wirklichen Strukturreformen in Krisenländern und den aus der Sparpolitik resultierenden sozialen Verwerfungen interessiert wahrgenommen wird.

Vielleicht sollte Merkel, die viel Zeit und Geld auf einen Bürgerdialog zu "Gut Leben in Deutschland" verwendet, eine Reihe zum Thema "Gut Leben in Europa" planen. Sie sollte sich Zeit nehmen, um in Krisenländern Eindrücke aus erster Hand über die sozialen und politischen Probleme sowie die Sorgen und Hoffnungen der Bürger zu erhalten. Sie könnte diese dann auch mit den deutschen Bürgern teilen, die von populistischen Zeitungen wie BILD oft mit einem allzu einseitigen Bild konfrontiert werden. Gleichzeitig würde sie damit auch den Berufsdiplomaten helfen, die unweigerlich die Suppe des kommunikativ-diplomatischen Versagens in der Griechenlandpolitik werden auslöffeln müssen.

Thorsten Benner (@thorstenbenner) ist Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

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