1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gastarbeiter mit Geige

4. August 2009

Früher rissen sich deutsche Orchestermusiker um Plätze in Kurkapellen an attraktiven Badeorten. Die Zeiten sind längst vorbei. Inzwischen bespielen Musiker aus Osteuropa die Konzertmuscheln von Norderney bis Juist.

https://p.dw.com/p/J11i
Ein 8-köpfiges Musikerensemble in rotem Frack und dunklen Hosen, mit Insturmenten posierend vor grüner Landschaft(Copyright: Kurverwaltung Juist)
Weit gereist: Das Kurorchester der Nordseeinsel JuistBild: Kurorchester Juist

Der Kurplatz auf der Nordseeinsel Juist: hier treffen nicht nur die Hauptverkehrsadern des Heilbades zusammen, hier spielt auch das Juister Kurorchester regelmäßig für die Gäste. Alte und junge Zuhörer sitzen vor dem modernen Musikpavillon, beobachten ihre Kinder am nahen Schiffchenteich, lesen Zeitung und wippen mit den Füßen im Takt. Alle genießen die besondere Atmosphäre des Platzes mit Sonne, Möwengeschrei, Pferdegetrappel - und natürlich der Musik des Juister Kurorchesters.

Hier Arrangement, dort Original

Blick auf die Hotelfront von Norderney, dem ältesten deutschen Nordseebad (Copyright: Staatsbad Norderney GmbH)
Ältestes deutsches Nordseebad: NorderneyBild: Staatsbad Norderney GmbH

Imre Huszar ist Geiger, Konzertmeister und stellvertretender Dirigent. Seit 28 Jahren kommen er und seine Kollegen hierher, um die Juister Gäste musikalisch zu unterhalten. Gespielt wird alles von der Klassik bis zum Jazz. Der sei selbstverständlich auch dabei, sagt Imre Huszar, "aber die meisten Kollegen sind richtige klassische Musiker, und die spielen auch zu Hause in den verschiedenen Orchestern richtige klassische Sachen." Zu Hause: Das ist für die Musiker die ungarische Metropole Budapest, wo sie während der Saison in Sinfonie- und Opernorchestern tätig sind. Klassische Musik ist ihr Leben; doch die lässt sich auf Juist nur in Arrangements spielen. Anders dagegen auf Norderney: Dort gibt das Warschauer Symphonieorchester unter seinem Dirigenten Tadeusz Wicherek sogar große klassische Konzerte.

Ersatz für teure Kollegen

Das Warschauer Symphonieorchester spielt auf dem Norderneyer Kurplatz (Copyright: Staatsbad Norderney GmbH)
Große Kurmusik: die Warschauer Symphoniker in AktionBild: Staatsbad Norderney GmbH

Seinen Namen erhielt das Orchester 1979 zu seiner ersten Saison auf Norderney; dabei kamen die Musiker nicht nur aus Warschau, sondern aus allen möglichen Regionen Polens. Vorher bestritten die Göttinger Sinfoniker die Kurmusik im niedersächsischen Staatsbad. Doch dann gab es Probleme: Die deutschen Musiker verlangten zu viel Geld und wollten nur noch bestimmte anspruchsvolle Werke spielen. Um die beim Publikum beliebte Musik nicht streichen zu müssen, griff die Kurverwaltung auf Norderney auf Musiker aus dem Ostblock zurück, die für ein geringes Honorar aufspielten. Auch andere Bäder machten so ein Schnäppchen, während vor allem polnische und ungarische Ensembles ihr schmales Gehalt aufbessern konnten.

Wenig Freizeit auf der Urlaubsinsel

Auf der Bühne am Juister Kurplatz spielt das Juister Kurorchester (Copyright: Kurorchester Juist)
Open-Air-Bühne des Juister Kurorchesters am KurplatzBild: Kurorchester Juist

Lukrativ ist die Kurmusik in Deutschland für die polnischen und ungarischen Musiker offensichtlich immer noch. Zum Einen bedeutet sie immer noch einen willkommenen Zuschuss für die nach wie vor nicht gerade berauschenden Gehälter daheim. Und allein reisen wie zu Zeiten des Eisernen Vorhangs müssen die Musiker auch nicht mehr: Oft begleiten sie Familienmitglieder, die dann ihrerseits als Saisonkräfte auf der Insel noch etwas hinzuverdienen. Musizieren im Ferienziel: Das bedeutet für die Orchester meist drei Konzerte an sechs Tagen in der Woche. Der einzige freie Tag geht oft für Proben drauf. Trotzdem: Wenn die Inseln Norderney oder Juist rufen, sind alle auch in nächsten Jahr wieder dabei.

Autor: Klaus Gehrke
Redaktion: Aya Bach