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Gasstreit: Ukrainer zwischen Empörung und Gelassenheit

5. Januar 2006

Die Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland um höhere Gaspreise hat gezeigt: Die Menschen in der Ukraine sind bereit, für ihre Unabhängigkeit einen höheren Preis zu zahlen. Ein Stimmungsbild.

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Viele Ukrainer sind zurzeit nicht gut auf Russland zu sprechenBild: dpa - Report

Im Gas-Konflikt mit Moskau konnte die Regierung in Kiew auf die Unterstützung durch die Bevölkerung zählen. Dies hat eine interaktive Befragung von Zuschauern ukrainischer Fernsehkanäle noch einmal verdeutlicht. Mehr als 90 Prozent der Befragten waren danach bereit, für die Unabhängigkeit der Ukraine auch buchstäblich einen höheren Preis zu zahlen. Mit der von Gasprom verlangten Preis-Anhebung um fast das fünffache waren die Menschen auf den Straßen der ukrainischen Hauptstadt keinesfalls einverstanden. Eine Frau sagte: „Wir schätzen die Russen, aber die Haltung der russischen Regierung ist für uns einfach unverständlich. Dieser Druck und insbesondere die brisante Erklärung nur 4 Stunden vor Neujahr - dieser Druck ist für uns sehr unangenehm. Wir sind mit der Haltung unserer Regierung einverstanden. Wir denken auch, dass der von Gasprom diktierte Preis zu hoch ist. Und diese Position muss man verteidigen."

Stimmungsbilder

Einmütig lehnten die Menschen den Druck, den Russland auf die Ukraine ausgeübt hat, ab. Man betrachtete dies als diplomatischen Skandal und gab sich empört, wie dieser Mann: „Ich habe die Hälfte meines Lebens in Russland verbracht. Aber das war Erpressung. Eindeutig. Meine Haltung zu Russland hat sich schon vor einem Jahr negativ geändert."

Der Konflikt ums russische Gas war in den vergangenen Tagen allgegenwärtiges Gesprächsthema. Kaum jemand auf den Hauptstraßen von Kiew war nicht dazu bereit, seine Meinung zu äußern. Kritik an der ukrainischen Führung kam dabei selten. Sie wurde allenfalls von denen geäußert, die aus dem im Osten gelegenen, vorwiegend russisch-sprachigen Donezk-Gebiet kommen - so wie dieser Mann: „Wir sind nicht zufrieden mit der Haltung unseres Präsidenten Juschtschenko zu diesem Problem“, betonte er.

Boykott-Aufrufe

Auf ungewöhnliche Weise wurde die Bevölkerung in der Ukraine zum Protest gegen die russische Politik aufgefordert. Per SMS rief man zum Boykott russischer Produkte auf. Die Menschen sollten sich an die Hungerjahre und den Terror des sowjetischen Geheimdienstes NKWD erinnern, lauteten die Botschaften. "Kauft keine russischen Waren!" - hieß es. Nicht nur im Mobiltelefonnetz, auch im Internet finden sich noch immer zahlreiche antirussische Witze und Gedichte, aber auch Häme und Ironie. Eine Website ist über Google zugänglich mit dem Titel "Kaufe nichts Russisches und denke ans Gas!"

Anders in der ukrainischen Provinz. Hier sind in den letzten Jahren viele lokale Gasleitungen installiert worden. Die Bauern wissen aber noch, wie es früher war. Sie sind nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Sie oder ihre Angehörigen haben den Bürgerkrieg, die kommunistische Zwangskollektivierung und den Zweiten Weltkrieg überstanden. Der Konflikt mit Russland in den Tagen seit Neujahr regte sie nicht weiter auf. Dieser Mann sagte: „Ich habe einen Ofen zu Hause. Wenn es kein Gas mehr gibt - dann gibt es Holz. Es geht schon irgendwie." Jetzt, nach der Einigung, dürfte er aber weiter mit Gas heizen können – wenn auch zu höheren Preisen.

Oleksandr Sawyzkyj, Kiew

DW-RADIO/Russisch, 4.1.2005, Fokus Ost-Südost