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Gartenreich Dessau-Wörlitz

Das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts angelegte Gartenreich Dessau-Wörlitz darf sich seit 2000 zum Unesco-Kultur- und Naturerbe der Welt zählen.

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Bild: APTN

Auf einer Stufe neben chinesischer Mauer, Mont Saint-Michel, ägyptischen Pyramiden oder Kölner Dom hat das Gartenreich Dessau-Wörlitz in Sachen Publizität einiges nachzuholen, doch der, der es einmal besucht und durchwandert hat, wird begeistert zurückkehren mit dem Eindruck, ein einzigartiges kulturelles Juwel in Augenschein genommen zu haben.

Es war Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der mit 18 Jahren den preußischen Militärdienst quittierte und ausgedehnte Bildungsreisen vor allem nach England, Italien und die Niederlande unternahm. Kurz nach Regierungsantritt 1758 begann er - zusammen mit seinem Hausarchitekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf - die Idee einer Ideallandschaft zu verwirklichen. In seinem nur 700 qkm großen Reich wurden ausgedehnte Park- und Gartenanlagen mit Schlössern, antiken Tempeln und Villen, Denkmälern und Brücken angelegt. Die sanft modellierte Traum-Landschaft aus Teichen und Kanälen, Hügeln und kurvigen Wegen sollte - so wollte es der Fürst - seinen Untertanen jederzeit zugänglich sein.

Einzigartige Kombination aus Natur und Architektur

Nach heutigen Vorstellungen gleicht das Gartenreich eher einem Gesamtkunstwerk als einer historischen Parklandschaft aus dem 18. Jahrhundert. Die Kombination aus Natur und rund 100 historischen Bauwerken in der weitflächigen Auen- und Deichlandschaft zwischen Elbe und Mulde gilt als einzigartig auf dem europäischen Kontinent.

Seit 1997 kümmert sich die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz um das Gartenreich und die Baudenkmäler, die eine Gesamtfläche von 145 qkm einnehmen. Wörlitz ist mit rund 1 Million Besuchern pro Jahr der mit Abstand meistfrequentierte Bereich der von der UNESCO ausgezeichneten Kulturerbe-Stätten. Denn auch das ältere Barockschloss Oranienbaum, das Rokoko-Ensemble Mosigkau, die Schlösser Georgium und Großkühnau, das klassizistische Landhaus Luisium sowie der Sieglitzer Park gehören zum Weltkulturerbe.

Einige Gebäude der Anlagen von Wörlitz können für sich in Anspruch nehmen, auch aus bauhistorischer Sicht stilbildend in Deutschland gewesen zu sein, wie Reinhard Alex, oberster Denkmalschützer der Stiftung betont:

"Immerhin haben wir es hier mit Bauwerken zu tun, von denen etliche in der deutschen Architekturgeschichte eine große Bedeutung haben wie etwa das Schloss Wörlitz als Gründungsbau des deutschen Klassizismus oder das Gotische Haus, das ganz am Anfang der Entwicklung der Neugotik in Deutschland steht, und so gibt es also eine Abteilung, wenn gleich sie recht klein ist - ich bin Kunsthistoriker mit 5 Restauratoren, die sich um die fachlichen Fragen bei der Betreuung der Bauwerke kümmern, bei der Bauvorbereitung, also der Vorbereitung restauratorischer Vorhaben und das ganze dann begleiten und kontrollieren."

Neben den prächtigen Parkanlagen und Schlössern ist es aber vor allem der geistige Anspruch, der Idee und Gestaltung des Gartenreiches so einzigartig erscheinen lassen. Fürst Franz reformierte seinen Kleinstaat, indem er Verwaltung, Schulwesen, Landwirtschaft und Infrastruktur modernisierte und die geistigen Größen der Zeit nach Wörlitz holte. Das Gartenreich wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem lebendigen Stück 'Aufklärung' - einer Art Gegenentwurf zum militärisch ausgerichteten Preußen. Der Direktor der Kulturstiftung, Thomas Weiss, drückt das heute so aus:

"Es geht hier auch darum, dass man hier Dinge nachvollziehen kann, die den Geist der Aufklärung symbolisieren und das Ganze ist eben von uns auch in einer Ausstellung in Frankfurt als 'Weltbild' beschrieben worden, also es geht nicht nur um das gebaute Resultat oder nur um die gestaltete künstlich überformte Natur, sondern es geht eben auch um die geistigen Hintergründe, die man sich im Lauf der Zeit eben dann anlesen kann oder auch erleben kann vor Ort."

Verbindung zwischen Schönem und Nützlichem

So wurde die Verbindung zwischen dem Schönen und dem Nützlichen zum Ur-Motto des Gartenreichs. Die Beesucher sollten sicch nicht nur an der schönen Landschaft ergötzen und die vielen Bauwerke und Denkmäler bestaunen, sie sollten auch etwas lernen, sie sollten "aufgeklärt" werden.

Gleichzeitig ging es Fürst Franz ganz praktisch auch um den Nutzwert seines Reiches, wie Horst Woche, zuständig für die Gartenanlagen, betont:

"Ganz bewusst wurden in den Wörlitzer Anlagen ca. 30 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche integriert, um hier die modernsten englischen Landwirtschaftsmethoden der Öffentlichkeit vorzustellen. Es wurde unmittelbar vor dem Gotischen Haus zum Beispiel ein Landwirtschaftsmuseum eingerichtet, auf den Ackerflächen die modernsten Fruchtfolgen dargestellt um hier einfach pädagogisch wirksam zu werden."

Das Nützliche mit dem Schönen zu verbinden, in dieser Tradition sehen sich die Mitarbeiter der Stiftung auch heute noch. Wolfgang Savelsberg betreut die Sammlungen der Museen des Gartenreichs:

"Die Vermittlung unserer Häuser, die professionelle Vermittlung und Erschließung, auch wissenschaftliche Erschließung, ist mittlerweile unsere Hauptaufgabe geworden, wir haben eine sehr aktive Museumspädagogik bei uns in den Häusern, jedes Haus hat Räume eingerichtet, in denen museumspädagogische Programme laufen, die Schulen in Sachsen-Anhalt sind im Geschichtsunterricht auf die Aufklärung und den Barock hingewiesen worden, und es gehört mittlerweile zum Schulprogramm innerhalb der Schulen Sachsen-Anhalts."

Sichtachsen mit überraschenden Perspektiven

Neben der Pflege und der Rekonstruktion der Anlagen des Gartenreichs geht es der Stiftung auch um den Erhalt der Landschaft, die die einzelnen Park- und Schloss-Komplexe miteinander verbindet. Im Bereich der Gartenanlagen geht es vor allem um die Wiederherstellung der ursprünglich 300 Sichtachsen, ein ausgetüfteltes System der Landschafts- und Bauarchitektur, das den Besuchern des Wörlitzer Parks immer wieder überraschende Perspektiven eröffnet. Markantestes Beispiel ist die sogenannte Sichtachse der Toleranz: von einem bestimmten Punkt im Park sieht man - in weiter Ferne - eine Kirche und eine Synagoge nebeneinander vereint: Zeichen religiöser Offenheit.

Die bei weitem schwierigste, weil aufwendigste und teuerste Aufgabe, fällt den Denkmalschützern zu. Die historischen Gebäude und Denkmäler, an denen der Zahn der Zeit am auffälligsten nagt, haben am meisten gelitten. Zunächst muss das Allernötigste für ihren Bestand getan werden. Reinhard Alex:

"Es darf nicht rein regnen, also der Kopf des Gebäudes und der Fuß müssen trocken sein, also erst muss das Dach dicht sein und es ist zu vermeiden, dass aufsteigende Feuchtigkeit, die ja bei solchen historischen Bauwerken immer wirkt, die nicht isoliert sind, dass diese Schadensursache behoben wird, dann ist also schon mal viel getan, aber das hat alles noch nichts mit der eigentlichen Restaurierung der Gebäudesubstanz, der Dekoration, der Ausstattung zu tun."

So sehr man sich in Wörlitz über die UNESCO-Auszeichnung gefreut hat, ein Geldsegen ist mit der Urkunde nicht verbunden. Die Stiftung kann pro Jahr mit 5 Millionen Mark an Landes- und Bundesmitteln rechnen, hinzu kommen Gelder aus verschiedenen nationalen und internationalen Fördertöpfen. Ein schmales Budget, das zur Konzentration zwingt. Direktor Weiß:

"Was wir allerdings bei diesen Finanzmitteln, die wir jetzt haben, sehen müssen, ist dass wir die auf einige Objekte konzentrieren müssen und darunter leidet natürlich das ein oder andere kleinere Bauwerk. Unsere Hauptinteressen liegen jetzt an dem Schloss Wörlitz und an der Felseninsel Stein oder eben am Schloss Oranienbaum, aber Nymphaeum, Monument oder Luisenklippe oder andere Kleinbauwerke, die können eben immer nur bei Genehmigung einer Fördermaßnahme zusätzlich finanziert werden."

Gartenreich soll kein Erlebnispark werden

In der strukturschwachen Region kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Die Erhaltung der Kulturgüter und die Wirtschaftsförderung in derr Region stehen sich manchmal im Wege. So kann man nur hhoffen, dass die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen nicht zu einer weiteren Zerstörung der Landschaft führt.

Neben der Sorge um den Erhalt des Gesamtbildes des Gartenreiches geht es der Stiftung momentan auch darum, den Bekanntheitsgrad dieser jüngsten deutschen Weltkulturerbestätte zu erhöhen. Dessau-Wörlitz gehört zu den unbekannten Kulturdenkmälern, zumindest im Westen der Republik. Dass es sich aber um wunderbare Dinge handelt, darüber sind sich alle einig, die Dessau-Wörlitz einmal besucht haben. Thomas Weiß warnt jedoch, das Gartenreich nur als großen Erlebnispark zu sehen und hofft ....

".... dass das ganze nicht nur zu einem - Herr Kauffmann aus Weimar sagte mal, zu einem 'Leporello der Sehenswürdigkeiten' verkommt -, sondern dass das Gartenreich in seiner Gänze bei den Besuchern mit dazu beiträgt, dass sich auch im Kopf der Besucher etwas rührt, dass also nicht nur die Erholung über die Kontemplation oder über das möglicherweise nur Abhaken von Sehenswürdigkeiten definiert wird, sondern dass man versucht, Wege zu beschreiten, die es den freiwillig hier herkommenden Besuchern ermöglicht, die verschiedenen geistigen Ebenen, die ja nicht sofort sichtbar werden, dass also die geistigen Gehalte dieses Gartenreichs der Aufklärung, dass die mit in ihrer hohen Qualität und ihrem Anspruch sich mit unseren heutigen Denken verflechten."

Doch als drängendstes Problem erweisen sich die anstehenden notwendigen Restaurierungsarbeiten. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz ist - in weiten Teilen - vom Verfall bedroht. Falls es bei den jetzigen Geldmitteln bleibt - so hat es die Beratungsfirma McKinsey ausgerechnet - wird das Gartenreich erst wieder in 120 Jahren in alter Pracht und Würde zu sehen sein.