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Garri Kasparow: "Hauptaufgabe ist die Demontage des Putin-Regimes"

28. September 2006

"Anderes Russland" – so heißt ein Forum, in dem sich oppositionelle Kräfte zusammengeschlossen haben. Auch Garri Kasparows Vereinigte Bürgerfront ist dabei. DW-RADIO sprach mit ihm über das Vorgehen der Opposition.

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Garri Kasparows politische SchachzügeBild: AP

Der Name "Anderes Russland" ist den Menschen in Russland noch wenig geläufig, dabei hat sich die neue Organisation hohe Ziele gesetzt. Dies wurde am 25. September in Moskau während einer Sitzung des Forums "Anderes Russland" deutlich. Das Forum will das "nicht funktionsfähige" Parlament ersetzen. Während der Sitzung wurde die vom bekannten Politologen Georgij Satarow erstellte "Strategie der Volkseinheit" als Arbeitsgrundlage verabschiedet. Sie soll dem Forum "Anderes Russland" als Programm dienen. Eine Entscheidung zum möglichen Boykott der in Russland bevorstehenden Parlamentswahlen wurde vorerst offen gelassen. Das teilte der Führer der Volksdemokratischen Union, der ehemalige russische Premier Michail Kassjanow, vor Journalisten mit.

Wahlen werden zu Referendum

An dem Forum nahm auch der Vorsitzende der Vereinigten Bürgerfront, der ehemalige Schach-Weltmeister Garri Kasparow, teil. Über eine mögliche Vereinigung der russischen Oppositionskräfte sagte Kasparow im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Man kann heute nicht sagen, dass zwischen den oppositionellen Kräften ideologische Meinungsverschiedenheiten bestehen. Russland wird praktisch durch ein Referendum gehen. Denn egal, in welcher Form Putins Erbe vorgestellt wird oder ob Putin selbst beschließt, an der Macht zu bleiben: Wir können nicht von normalen Wahlen sprechen, sondern eher von einem Referendum. Und hier ist die Zusammenarbeit der unterschiedlichsten oppositionellen Kräfte möglich, die bereit sind, allgemeine Spielregeln zu akzeptieren. Denn die heutigen Spielregeln dienen nur der herrschenden Korporation." Kasparow zufolge ist in Russland die Zeit reif für eine umfassende Zusammenarbeit aller Oppositionskräfte, die bereit sind, ein gemeinsames Reform-Programm auf den Weg zu bringen.

Erschütterungen zu erwarten

Die Spannungen in Russland werden in nächster Zukunft zunehmen, meint Kasparow. Russland werde Erschütterungen erleben, und dies sei unvermeidlich, weil die Kluft zwischen der einfachen Bevölkerung und denjenigen, die Zugang zu den Erdöl- und Erdgasschätzen hätten, immer größer werde. Die Hauptaufgabe der russischen Opposition formulierte Kasparow deutlich: "Unsere Hauptaufgabe ist, das Putin-Regime zu demontieren und für das Land normale Entwicklungsalternativen zu erarbeiten, also die Spielregeln abzustimmen. Alles weitere wird von den Kräften abhängen, die gewählt werden. Es ist klar, dass Regierungen eher rechts oder eher links sind, eher nationalistisch oder eher kosmopolitisch, aber es wird nicht von den Interessen der herrschenden Klans und deren finanziellen und politischen Interessen abhängen, sondern von der Stimmung der Menschen."

Machtübergabe oder Machterhalt

Russland habe genug ernste Probleme, meint der Vorsitzende der Vereinigten Bürgerfront. Kasparow betonte, man müsse sich ein realistisches Bild von der Wirtschaftslage in Russland machen: "Die Stabilität, von der Putin so gerne spricht, gibt es in Russland nicht. Die Wirtschaft stagniert, und der Lebensstandard des überwiegenden Teils der Bevölkerung sinkt. Klar ist, dass Russland nun in eine heftige innenpolitische Krise gleitet, weil kein Modell der Machtübergabe gefunden wird oder für Putins Machterhalt, mit dem er ohne innenpolitische Erschütterungen zu einem dann nicht mehr legitimem Herrscher werden könnte." Dies wirke sich negativ auf die Wirtschaft des Landes aus, so Kasparow.

Krisen-Bündelung 2007/2008

Putin ist Kasparow zufolge in der Lage, die Demokratie vollständig abzuschaffen. Dies würde objektiv gesehen zu einer Verbesserung des Lebensstandards der Russen führen, was mit einem höheren Erdölpreis auch zu machen sei. Aber derzeit steige der Erdölpreis nicht mehr, sondern falle eher. Kasparow sagte der Deutschen Welle. "Schon heute liegt der Erdölpreis unter dem, mit dem im russischen Etat gerechnet wird. Die Nomenklatura verliert die Möglichkeit, sich zu bereichern, und sie wird sich dementsprechend mit einer Verschärfung des politischen Regimes und der faktischen Liquidierung des föderalen Systems im Land nicht einverstanden erklären." Kasparow ist der Meinung, dass sich 2007 und 2008 eine Reihe von Krisen bündeln werden. Bis diese Krisen nicht gelöst seien, sei es verfrüht, über den weiteren Entwicklungsweg Russlands zu sprechen.

Oksana Jewdokimowa, Moskau
DW-RADIO/Russisch, 25.9.2006, Fokus Ost-Südost