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Gabriel soll die SPD aus der Krise führen

30. September 2009

Dampfplauderer oder Spitzenpolitiker? An Sigmar Gabriel scheiden sich die Geister. Jetzt soll der ehemalige Pop-Beauftragte der SPD die Partei aus dem Tal der Tränen befreien.

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Gabriel vor einem Windrad (Foto: AP)
Sigmar Gabriel soll nach dem Willen vieler Genossen die SPD führenBild: AP

Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl wächst innerhalb der SPD die Unterstützung für Sigmar Gabriel als Kandidat für den Parteivorsitz. "Ich glaube, dass Sigmar Gabriel sehr viel kann und dass er ein wirklich Guter an der Parteispitze ist", sagte der Sprecher des wirtschaftsfreundlichen "Seeheimer Kreises", Johannes Kahrs, am Dienstagabend in der ARD. Und auch in den SPD-Landesverbänden wächst die Unterstützung für den Umweltminister: "Sigmar Gabriel hat absolut das Zeug dazu, SPD-Chef zu werden", erklärte der niedersächsische SPD-Landeschef Garrelt Duin in der "Bild"-Zeitung. Dem Bericht zufolge legten sich auch die SPD-Vorsitzenden aus Nordrhein-Westfalen und Bayern, Hannelore Kraft und Florian Pronold, auf Gabriel als Nachfolger des scheidenden SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering fest. Der künftige SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier soll demnach nach seiner Wahl am Dienstag mit Blick auf Gabriel gesagt haben: "Wenn alle ehrlich miteinander umgehen, dann kann das klappen."

Doch kann der Niedersachse die Partei nach ihrer Wahlschlappe wieder aufrichten? Er hat sich in den vergangenen Jahren aus zahlreichen Grabenkämpfen der Sozialdemokraten herausgehalten, einen engagierten Wahlkampf gemacht und sich so in der Partei Respekt verschafft. Für viele SPD´ler ist klar: Er hat den Machtwillen, den viele Genossen bei Steinmeier vermissen. Doch Gabriel war in der Partei über Jahre ungeliebt: Selbst als er auf Wunsch von SPD-Chef Franz Müntefering Umweltminister in der großen Koalition wurde, half ihm das in der Partei zunächst wenig weiter. Er gehörte nie zur engeren Parteispitze, hatte keinen Stellvertreter-Posten. Als einziger Kandidat fiel er 2007 selbst bei den Wahlen zum Parteipräsidium durch. Seine Vorschläge zur Energie-und Kohlepolitik für das Wahlprogramm wurden von der Partei torpediert. Widerstand gab es hauptsächlich von der Parteilinken, dabei können ihn selbst engere Gefolgsleute nur schwer nach links oder rechts einordnen.

Er gilt als wankelmütig und unstet

Schröder liest in einer Zeitung (Foto: AP)
Gerhard Schröder förderte die politische Karriere GabrielsBild: AP

Das ist auch schon eines der Probleme, die Gabriel aus seiner Zeit als SPD-Fraktionschef und Ministerpräsident in Niedersachsen vorauseilten. Er galt als unstet und wankelmütig: Zunächst von Gerhard Schröder gefördert, ging er später im niedersächsischen Wahlkampf auf Distanz zum Begründer der umstrittenen Agenda 2010. Der studierte Gymnasiallehrer machte etwa einen Vorstoß zur Einführung von Studiengebühren, die er heute wie der Rest der Partei entschieden ablehnt. Später nannte er selbst seinen Wahlkampf "hektisch und widersprüchlich".

Nach der Niederlage in Niedersachsen musste er mit dem Amt des "Pop-Beauftragten" der SPD und dem Spitznamen "Sigi-Pop" leben. Ebenso überraschend wie seine Berufung zum Bundesumweltminister war daher seine parteipolitische Zurückhaltung über Jahre. Mit Matthias Machnig als Staatssekretär nahm er sich zudem einen Berater zur Seite, der ebenso wenig ausgewiesener Umweltexperte wie er selbst war, der jedoch in der SPD als strategischer Strippenzieher gut verdrahtet ist. Während der Machtwechsel von Müntefering zu Platzeck zu Beck zu Müntefering meldete Gabriel sich in den innerparteilichen Debatten kaum zu Wort - und wenn doch, beschwor er vor allem die Einheit der Partei.

Gabriel kämpfte für Kohlekraftwerke

Ein Kohlekraftwerk dampft (Foto: AP)
Kohlekraftwerke fand Gabriel auch als Umweltminister gutBild: Petr Stojanovski

Dass Gabriel ein rhetorisches und politisches Talent ist, war jedoch nicht nur Müntefering aufgefallen. Gabriel kann mit seiner populistischen Art Säle im Wahlkampf zum Kochen bringen - er versteht es aber auch, selbst Parteifreunden zu widersprechen, ohne sie direkt vor den Kopf zu stoßen: Als eine SPD-Ortsgruppe bei München von Gabriel Unterstützung im Kampf gegen den Flughafenausbau forderte, weil der Flugverkehr ja umweltschädlich sei, machte der 50-Jährige nicht mit. Die klassische SPD-Nähe zur Kohlekraft hat er verinnerlicht und plädierte selbst für neue Kohlekraftwerke.

Beim emotionalen Thema Atomkraft übernahm er dagegen schnell die Rolle, die bislang die Grünen innehatten, und blieb beim Atomausstieg hart. Anträge auf Laufzeitverlängerung wurden reihenweise von ihm abgelehnt. Zuletzt stellte er sich auch gegen das Atommülllager Gorleben, was er lange zumindest als Option akzeptiert hatte. Mit dem Anti-Atomwahlkampf konnte Gabriel daher nicht nur in seinem Wahlkreis punkten, den er deutlich gewann, sondern auch in der Partei.

"Leute wie Beck sind an der Aufgabe gescheitert"

Beck nach seiner Demission als SPD-Chef
Nach dem "Drama vom Schwielowsee" wurde Kurt Beck vor einem Jahr als SPD-Chef demontiertBild: AP

Dennoch mehren sich die Stimmen, die Gabriel eher für einen Dampfplauderer, denn einen Spitzenpolitiker halten. "Mir fällt nichts Konkretes ein, was Umweltminister Gabriel in seiner einjährigen Amtszeit für den Klimaschutz erreicht hat", wettert Gerhard Timm, Geschäftsführer des BUND über den Niedersachsen.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hält Gabriel für einen begabten Populisten, doch sei abzuwarten, ob er "in dieser extrem schwierigen Position, den Wandlungsprozess der SPD" gestalten könne. "Er hat eine große Aufgabe vor sich", sagte der Politologe. "Leute wie Platzeck sind an dieser Aufgabe gescheitert, Leute wie Beck auch. Doch er hat eine Chance und er ist ein gewiefter Politiker."

Autor: Marcus Bölz (mit dpa, reuters)

Redaktion: Martin Schrader