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Verfolgung der Muslimbrüder behindert Regierungsbeteiligung der Islamisten

Andreas Gorzewski15. Juli 2013

Die Bildung der Übergangsregierung in Ägypten kommt nur langsam voran. Sie wird islamistische Kräfte nur einbinden können, wenn die Verfolgung der Muslimbrüder aufhört, sagt Nahost-Experte Henner Fürtig im DW-Interview.

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Henner Fürtig. Fotograf: Werner Bartsch.
Nahost-Experte Henner Fürtig sieht die Hauptaufgabe der Übergangsregierung in der Vorbereitung von NeuwahlenBild: Werner Bartsch

DW: Kann die Übergangsregierung, deren Bildung Interimspremier Hasem al-Beblawi noch immer nicht komplett gelungen ist, liberale und islamistische Interessen überhaupt zusammenbringen?

Henner Fürtig: Das könnte gelingen, wenn die Verfolgung der Muslimbrüder jetzt sofort eingestellt und der Eindruck vermieden würde, dass die Regierung nur eine Art Aushängeschild wäre, um im Hintergrund weiter an der Zurückdrängung und Marginalisierung der Muslimbrüder zu arbeiten. Das würde eine Voraussetzung sein, um relevante Angehörige der Muslimbrüderschaft oder auch der Salafisten in das neue Kabinett zu bekommen.

Ist von der Übergangsregierung ein Kurswechsel zu erwarten gegenüber der Mursi-Regierung?

Die Übergangsregierung hat einen ganz klaren Auftrag, der unmittelbar nach dem Sturz Mursis vom Militär direkt so formuliert wurde: Sie regelt den Übergang zur Neuwahl und schafft die Voraussetzung für eine Neuwahl durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung. Das heißt, es müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um Ägypten wieder in ruhigeres Fahrwasser zu steuern. Das heißt, möglichst rasch Parlamentswahlen zu ermöglichen, aus denen dann auch ein neuer Präsident hervorgehen kann. Wobei das letztlich von der neuen Verfassung abhängig wäre. Es könnte auch eine direkte Präsidentenwahl geben.

Hat die Übergangsregierung überhaupt Spielraum, die ökonomische Lage aufzuhellen?

Einige der Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien und Katar, das ist mittlerweile verlautbart, haben einen Sofortkredit von zwölf Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Das dürfte zunächst erstmal über das Gröbste hinweghelfen. Dann natürlich muss die Übergangsregierung mit den Hauptschuldnern, insbesondere dem Internationalen Währungsfonds, neue Verhandlungen beginnen, um wenigstens eine Stundung der ausstehenden Kreditrückzahlungen bzw. der Zinsen zu gewährleisten.

Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi protestieren am 12.7.2013 in Kairo gegen das Militär und die Übergangsregierung (Foto: Reuters)
Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi protestieren gegen das Militär und die ÜbergangsregierungBild: Reuters/Mohamed Abd El Ghany

Hat das Ausland – sowohl der Westen als auch die Geldgeber in der arabischen Welt – einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Übergangsregierung?

Das ist schwer zu sagen, welche Hintergrundgespräche da stattfinden. Natürlich würde es schon eine Rolle spielen, ob jetzt ausgewiesene Vertreter der Muslimbruderschaft oder der Salafisten für Kabinettsposten gehandelt werden; da würde im Hintergrund schon einiges an Verhandlungen anstehen. Aber die Auswahl der Kandidaten ist ja noch gar nicht abgeschlossen.

Ist die Berufung eines ehemaligen ägyptischen Botschafters in Washington als Außenminister vor allem als Signal an den Westen zu verstehen?

Man will vor allem den Eindruck erwecken, dass man handlungsfähig ist, dass man berechenbar bleibt, dass man mit Akteuren die Beziehungen zum Ausland pflegt, die dort nicht gänzlich unbekannt sind, die man einschätzen kann. Alles das ist ganz bewusst ein Signal, dass diese Regierung Business betreiben will, dass sie ihre Aufgaben ernst nimmt, und dass sie im Ausland auch als solche erkannt wird. Aber ich bleibe dabei: Das ist von vornherein eine Übergangsregierung, sie wird sich nicht auf Dauer etablieren.

Wird diese Übergangsregierung überhaupt bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung im Amt bleiben?

Übergangspremier Al-Beblawi (Mitte) und Friedensnobelpreisträger El-Baradei (links) beraten seit Tagen über die Bildung einer Übergangsregierung (Foto: dpa)
Übergangspremier Al-Beblawi (Mitte) und Friedensnobelpreisträger El-Baradei (links) beraten seit Tagen über die Bildung einer ÜbergangsregierungBild: picture-alliance/dpa

Das wird ganz stark davon abhängen, wie stark die Zusammensetzung dieser Übergangsregierung das Kräfteverhältnis insgesamt im Land wiedergibt. Wenn es eine technokratische Regierung ist, die weitestgehend von liberalen Kräften bestückt wird, dann wird die Kluft zur Muslimbruderschaft und weiteren islamistischen Kräften weiter bestehen bleiben, wenn sie sich durch diese Regierung nicht einmal ansatzweise repräsentiert sehen. Wenn es aber gelingt, namhafte Vertreter des islamistischen Lagers in diese Übergangsregierung einzubinden, dann dürfte sie deutlich länger Bestand haben.

Ist es denkbar, dass sich die Muslimbrüder im aktuellen Klima auf einen politischen Prozess einlassen könnten?

Die Muslimbruderschaft ist tief gespalten. Es gibt in der Muslimbruderschaft sowohl einen vertikalen Riss als auch einen horizontalen Riss. Mit horizontal meine ich, dass wir deutliche Altersunterschiede haben mit einem doch sehr alten Führungslager und einer eher jugendlichen Gefolgschaft. Auf der anderen Seite bestehen sehr hierarchische Strukturen in der Bruderschaft, gegen die sich die jugendliche Mehrheit immer deutlicher auflehnt; bis hin zu angedrohter Aufkündigung der Gefolgschaft. Und dann haben wir die andere Teilung, die dahin geht, dass man sich weiter als Kraft der Opposition versteht, in dem Sinne, dass alles, was nicht direkt zur Durchsetzung der Scharia und islamischer Regeln und Normen im Alltag führt, letztendlich von der Muslimbruderschaft nicht mitgetragen werden kann. Gleichzeitig haben wir auf der anderen Seite einen sehr politischen Flügel, den wir dann auch in der Regel in der Partei für Gerechtigkeit und Freiheit wiederfinden, dem politischen Arm der Muslimbruderschaft. Dies sind politisch sehr beschlagene Kräfte, die sich durchaus auf einen Kompromisskurs einlassen könnten, wenn insgesamt ihre Ziele dort Chancen haben, sich irgendwann einmal zu realisieren.

Welche Rolle spielen die Salafisten?

Die Salafisten haben ganz offensichtlich ihren Konkurrenzkampf mit dem Muslimbrüdern so weit getragen, dass sie sich am Ende in der Koalition wiederfanden, die den Sturz Mursis herbeigeführt hat. Ich glaube, mittlerweile haben sie ein bisschen Angst vor ihrer eigenen Courage, weil sie sehen, dass damit das islamistische Lager insgesamt geschwächt ist. Die Frage bleibt natürlich offen, ob sie durch diese neue Positionierung am Ende gewonnen oder verloren haben. Fakt ist natürlich, die Salafisten werden in hohem Maße vom Ausland unterstützt. Sie kriegen erhebliche materielle Unterstützung, auch aus den Golfstaaten, vor allem von Saudi-Arabien.

Professor Henner Fürtig ist seit 2009 Direktor der GIGA-Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Er veröffentlichte zahlreiche Fachbeiträge auch zum Umbruch in Ägypten.