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Vom Leibchen zum Lifstyle

Birgit Görtz11. Juni 2012

"Trikottausch" heißt die Ausstellung im Deutschen Olympiamuseum in Köln. Sie zeigt die deutschen EM-Trikots von 1972 bis heute. Es geht um Design und die Frage: Welcher Dress war der erfolgreichste?

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Das aktuelle Trikot von Lukas Podolski, aus der Ausstellung "Trikottausch" im Sport- und Olympiamuseum in Köln (Rechte: DW)
Das aktuelle Trikot von Lukas PodolskiBild: DW / Böll

"Ein Trikot ist ein Kleidungsstück mit Ärmeln." So heißt es im Reglement des International Football Association Board, kurz IFAB, der höchsten Instanz für Regelfragen im Fußball. Allerdings würde wohl kaum ein Fußballfan diese Definition so stehen lassen, auch nicht Michael Gais, Professor an der International School of Design in Köln. "Das, was ein Trikot wirklich ausmacht, ist die Emotion dahinter und der Kontext, in dem das alles stattfindet."

Also: Sport, Emotion, Mode. Im Idealfall wird ein Stück Stoff so zur Ikone. Bei der Erinnerung an die Jahre 1972 bis 1976 zum Beispiel kriegen Fans fast feuchte Augen: Europameister 1972, Weltmeister 1974 und dann noch die auf beinahe tragische Weise verspielte EM-Titelverteidigung 1976: Uli Hoeneß verbaselte den entscheidenden Elfmeter. Das schlichte Leibchen aus weißer Trikotage mit schwarzen Bündchen und Adler auf der Brust kleidete die vermeintlich "beste deutsche Elf aller Zeiten".

1976: Nicht mehr als ein Leibchen, aus der Ausstellung "Trikottausch" im Sport- und Olympiamuseum in Köln (Rechte: DW)
1976: Nicht mehr als ein LeibchenBild: DW / Böll

Prominente Leihgeber

Das in Köln gezeigte Exemplar der Elf von 1976 kleidete einst Berti Vogts, gerne als "Terrier" apostrophierter Nationalverteidiger und später Trainer der siegreichen Mannschaft bei der Europameisterschaft 1996. Einst trugen die gezeigten EM-Trikots unter anderem Jupp Heynckes, heute Trainer von Bayern München und Europameister von 1972, Toni Schumacher, Torwart beim Titelgewinn 1980, und Stefan Kuntz, Stürmer in der Sieger-Elf von 1996. "Es war schon schwierig, die Trikots zu beschaffen", sagt Kai Dürr, Direktor des Sport- und Olympiamuseums. "Denn es gibt viele Spieler, die gar keine Trikots mehr haben. Lukas Podolski ist da eine Ausnahme, er ist ein leidenschaftlicher Sammler. Viele andere halten nicht soviel davon." Von dem Stürmer, der in der kommenden Saison vom 1. FC Köln zu FC Arsenal wechselt, stammt das 2012er Exemplar.

Das sportlich erfolgreichste Trikot - gemessen an der Statistik nach Zahl der Einsätze, Anzahl der Tore und gewonnene Spiele - ist der Dress von 1996. Das hat Sören Kelling ausgewertet. Der Desgin-Student hat 540 Fußballspiele aus den Endrunden von Welt- und Europameisterschaften ausgewertet. Das kommerziell erfolgreichste ist der WM-Dress von 2006. Ausrüster adidas konnte 1,2 Millionen Stück verkaufen, erzählt Frank Dürr.

Ein bisschen Retro und jetzt schon Kult, aus der Ausstellung "Trikottausch" im Sport- und Olympiamuseum in Köln (Rechte: DW)
Ein bisschen Retro und jetzt schon Kult: das grüne Ausweichtrikot, falls die Gastgebermannschaft auch Weiß trägtBild: DW / Böll

Typisch 70er, typisch 80er Jahre

Das wäre in den 1970er Jahren undenkbar gewesen, als der Sportdress an Schlichtheit nicht zu überbieten war: Weißer Baumwollripp, schwarze Bündchen, Bundesadler - fertig. In den 1980er Jahren schlug die Stunde des Designs: Der Deutsche Fußball-Bund traute sich und ließ experimentieren, was dann 1988 zum modischen Ausreißer führte: jenem Trikot mit der inzwischen legendären schwarz-rot-goldenen "Fieberkurve".

In den 1990er Jahren galt der "minimal chic" von in Deutschland populären Designern wie Jil Sander und Helmut Lang. Der Umgang mit Farben war zwar zurückhaltend, doch in den Details wirken die Exemplare von damals seltsam übergestaltet: Der Stoff beispielsweise ist in sich aufwendig gestaltet mit grau-silbrigen Längsstreifen und DFB-Schriftzügen, die nur auf kurze Distanz zu sehen sind und an Hologramme erinnern. Designerisch besinnt man sich in den 2000er Jahren wieder auf die Anfänge zurück. Umso aufwändiger ist der Herstellungsprozess der High-Tech-Materialien, die atmungsaktiv sind und angeblich die Körpertemperaturen regulieren helfen.

Die "Fieberkurve" von 1988 aus der Ausstellung "Trikottausch" im Sport- und Olympiamuseum in Köln (Rechte: DW)
Die "Fieberkurve" von 1988Bild: DW

Sammlerstücke - Lieblingsstücke

Unter Sammlern ist übrigens das 1988er Trikot besonders beliebt: Auf einschlägigen Versteigerungsplattformen werden bisweilen Summen im vierstelligen Bereich gezahlt, erzählt Kai Hilger, Kurator der Kölner Ausstellung. Mangels Nachfrage leicht zu haben, ist hingegen das Outfit von 2000: Die EM damals galt als sportlicher Tiefpunkt. Zum "Rumpelfußball" von damals - Zitat Franz Beckenbauer - passt das ungeliebte Trikot.

Das Lieblingsstück von Museumsdirektor Frank Dürr ist das Trikot von 2008 mit dem schwarzen Balken auf der Brust. Die Fieberkurve von 1988 findet er hingegen schauderhaft. Designer Sören Kelling ist anderer Meinung: "Es ist typisch 1980er und damit schon wieder Kult." Designexperte Michael Gais bevorzugt das 2012er Outfit - wegen des gelungenen und zeitgemäßen Umgangs mit der Typografie. Auch Kurator Kai Hilger ist felsenfest überzeugt: "Mein Lieblingstrikot ist das aktuelle. Ich habe ein gutes Gefühl bei dem Trikot. Ich denke, dass damit was geht." Einig sind sich alle: Siegertrikots sind immer Lieblingstrikots.

Kongenial zum "Rumpelfußball": das 2000er Trikot, Lothar Matthäus (l.) steht nach seinem 150. Länderpiel neben Jens Nowotny auf dem Spielfeld (Foto: dpa)
Kongenial zum "Rumpelfußball": das Trikot von 2000Bild: picture-alliance/dpa