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Fußballrebellion in Brasilien

Fernando Caulyt (glh)17. Januar 2014

Brasilien ist das Land des Rekordweltmeisters und viele Brasilianer sind sich sicher: Auch 2014 werden wir gewinnen. Gleichzeitig kämpft die nationale Liga mit großen Problemen. Jetzt wehren sich die Spieler.

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Brasilien Protest Bom Senso FC Spielerstreik (Foto: imago)
Nachricht an den brasilianischen Fußballverband CBF: "Wo bleibt der gesunde Menschenverstand?"Bild: imago/Fotoarena

Zum Start der brasilianischen Fußballsaison am 18. Januar fällt Eduardo Tegas Diagnose schlecht aus: "Der brasilianische Fußball liegt auf der Intensivstation." Tega ist besorgt. Der Direktor der Universität des brasilianischen Fußballs glaubt, dass im Jahr 2014 der Ball öfter mal nicht rollen wird: Denn die Fußballer der nationalen brasilianischen Ligen werden streiken, so Tega.

Den ersten Vorgeschmack darauf gaben einige Spieler schon in den letzten Begegnungen des Jahres 2013. Bei sieben Erstligapartien kreuzten alle 22 Spieler ihre Arme und setzten sich aufs Feld oder spielten den Ball demonstrativ zum Gegner. Beim Spiel zwischen Corinthians São Paulo und Coritiba FC hielten einige Spieler ein Transparent hoch, andere demonstrierten mit einer kollektiven Umarmung.

So etwas hat es noch nie gegeben im brasilianischen Fußball und selbst Kenner der brasilianischen Fußballszene sind überrascht angesichts des Durchhaltevermögens der Spieler: Die Proteste halten mittlerweile schon mehr als ein halbes Jahr an.

Die einen spielen immer, die anderen fast nie

Die Spieler machen mobil gegen ihre Arbeitsbedingungen - und nutzen die Aufmerksamkeit, die das südamerikanische Land angesichts der kommenden Fußball-Weltmeisterschaft zurzeit genießt. Ihre Forderungen: eine kürzere Saison für die Erstliga-Profis, Anpassung des Spielplans an den europäischer Clubs und das Recht auf 30 Tage Urlaub am Stück.

Fußballspieler sitzen protestierend auf Feld. (Foto: imago)
Sitzstreik: Die letzten Spiele der brasilianischen Meisterschaft waren geprägt von den ProtestenBild: imago/Fotoarena

Während die Spieler der ersten Liga beispielsweise fast das gesamte Jahr aufs Fußballfeld müssen, endet die Saison kleinerer Vereine bereits nach zwei aktiven Monaten. "Erstklassige Vereine haben bis zu 90 Spiele in einer Saison. Andere, kleinere dagegen nur zehn oder zwanzig", sagt der Fußballprofessor Eduardo Tega im Interview mit der DW.

Zum Vergleich: Der FC Bayern München hat in der Saison 2012/13 von allen deutschen Vereinen die meisten Spiele bestritten: Es waren 53. Auf diese Zahl kommt jeder Erstligaverein aus Rio de Janeiro allein im Liga-Pflichtspielbetrieb auf bundesstaatlicher und nationaler Ebene. Hinzu kommen Pokalspiele und eventuell internationale Wettbewerbe.

Brasilianische Profis verlassen das Land

Schuld daran ist aus Sicht der Spieler der brasilianische Fußballverband CBF (Confederação Brasileira de Futebol). "Die brasilianische Liga wird komplett vernachlässigt - im Gegensatz zur Nationalmannschaft, die ja bereits fünfmal Weltmeister war", sagt auch Tega, der die Forderungen der Spieler unterstützt.

Die Folgen dieser Bedingungen zeigen sich auf vielen Ebenen: Die Spieler der Erstligisten sind überlastet und häufig verletzt. Die Spieler der unteren Ligen sind den Großteil des Jahres arbeitslos. Viele Profifußballer gehen deshalb lieber nach Europa. Dort ist außerdem die Bezahlung besser, das Leben komfortabler.

Diese Situation sei ein großes Paradoxon, findet der brasilianische Sportjournalist Juca Kfouri: "Wir bewegen uns immer weiter auf die WM zu und 90 Prozent unserer Nationalspieler spielen bei ausländischen Vereinen", sagt er im Gespräch mit der DW.

"Bom Senso FC", der Club des gesunden Menschenverstandes

Die, die geblieben sind, gehen inzwischen organisiert in die Offensive: Beim Trikotwechsel nach einem Spiel hatten Mittelfeldspieler Alex vom brasilianischen Erstligisten Coritiba FC und Verteidiger Juan vom SC Internacional Porto Alegre die Idee, wie sie auf ihre Situation aufmerksam machen könnten. Gemeinsam gründeten sie Mitte 2013 die Spielervereinigung Bom Senso FC - was so viel heißt wie: Fußballclub des gesunden Menschenverstandes. "Für einen besseren Fußball für alle" ist ihr Slogan, der so auch groß auf ihrer Facebookseite steht.

Sportjournalist Kfouri hält die Bewegung und ihre Vorschläge für nötig und angemessen: "Die Spieler fordern nichts Überragendes. Wenn alle Forderungen umgesetzt würden, hätte jeder etwas davon. Den Fans würde ein besserer Fußball geboten, es gäbe mehr Zuschauer in den Stadien, es würden mehr Spiele im TV übertragen und es gäbe letztendlich mehr erstklassige Profispieler, die im Inland spielen würden", sagt Kfouri.

Mittlerweile hat die Organisation mehr als 1000 Mitglieder - darunter auch brasilianische Fußballgrößen wie Paulo André vom Erfolgsmeister Corinthians São Paulo. So gut wie alle Fußballspieler der ersten beiden brasilianischen Ligen machen mit. Nun will Bom Senso FC auch die Sportler der dritten und vierten Liga erreichen, um auf mehr als 15.000 Unterstützer zu kommen.

Fußballspieler umarmen und freuen sich (Foto: NELSON ALMEIDA/AFP)
Starspieler Paul André vom brasilianischen Erstligisten Corinthians führt die Spielervereinigung anBild: Nelson Almeida/AFP/Getty Images

Generalstreik auf dem Fußballplatz

Den brasilianischen Fußballverband CBF lassen die Bestrebungen der Spieler bisher kalt. Er ging lediglich auf die Forderung ein, den Beginn der Saison 2014 um eine Woche zu verschieben. Doch so schnell wollen die Spieler nicht aufgeben. Auch von einem Generalstreik würden sie nicht absehen, sagte Starspieler Paulo André erst kürzlich in einem Interview.

Auch Fußballprofessor Eduardo Tega unterstützt die Vereinigung aktiv. Er kümmert sich um das Organisatorische bei Bom Senso. "Der brasilianische Fußballverband muss auf die Forderungen eingehen. Sie sind vollkommen legitim und grundlegend für das Überleben des brasilianischen Fußballs."