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Fukushima vor unlösbaren Problemen?

Martin Fritz13. August 2013

Der japanische Stromkonzern Tepco verbreitete die Illusion, die Radioaktivität im AKW Fukushima unter Kontrolle gebracht zu haben. Stattdessen wurde der Pazifik mit neuer Strahlung kontaminiert.

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Unterwasserforscher Blair Thornton erläutert eine Videoaufnahme des zerstörte Reaktors von See aus (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Formal betrachtet ist Tokyo Electric Power Company, kurz Tepco, ein privates Unternehmen, dessen Anteile seit einem Jahr mehrheitlich dem Staat gehören. Dennoch verzichtete die japanische Regierung bislang darauf, sich aktiv in das Management einzumischen.

Die Sanierung des havarierten Atomkomplexes Fukushima Daiichi und die Entschädigungen für die Folgen des radioaktiven Niederschlags in der Region wurden ebenfalls Tepco überlassen. Doch diese Haltung hat sich nun gerächt.

Wie die Regierung zugab, läuft seit zwei Jahren radioaktiv verstrahltes Grundwasser aus dem Bereich der Atomanlage in den Pazifik. Zuletzt sollen es täglich mindestens 300 Tonnen gewesen sein. Innerhalb einer Woche kommt so die Wassermenge eines 50-Meter-Schwimmbeckens zusammen.

Die Folge für den Meeresboden vor der Atomanlage hat kürzlich eine Forschergruppe des Instituts für Industrielle Wissenschaft von der Universität Tokio aufgezeigt. "Wir haben über 20 Orte gefunden, bei denen die Strahlenbelastung durch radioaktives Cäsium zehnfach höher war als in der Umgebung, mit Durchmessern von bis zu 100 Metern", erklärte Forschungsleiter Blair Thornton.

Widersprüchliche Aufträge an AKW-Betreiber Tepco

Nach der Atomkatastrophe im März 2011 hatte die japanische Regierung dem größten Stromversorger des Landes zwei sich widersprechende Aufträge gegeben: Zum einen soll Tepco alle Folgeschäden der Atomkatastrophe alleine tragen, da sich der Konzern auf den Tsunami nicht ausreichend vorbereitet hatte. Zum anderen muss Tepco durch Sparmaßnahmen und Restrukturierungen so schnell wie möglich in die schwarzen Zahlen zurückkehren.

Tepco-Chef Kazuhiko Shimokobe (Foto: /AFP/GettyImages)
Tepco-Chef Kazuhiko Shimokobe (links) forderte staatliche FinanzhilfeBild: K.KAMOSHIDA/AFP/GettyImages

Auf diese Weise soll das Unternehmen die staatlichen Hilfszahlungen - also direkte Kapitalspritzen und Vorschüsse für die Entschädigungsgelder - bald zurückzahlen.

In Wirklichkeit kann Tepco die Folgekosten der Atomkatastrophe niemals selbst begleichen. Im Frühjahr 2013 warnte Kazuhiko Shimokobe, Vorsitzender des Tepco-Verwaltungsrats, vor einer drohenden Insolvenz, falls der Staat nicht einige Folgekosten selbst übernehme.

So wurden die Abbaukosten für die Unglücksreaktoren zunächst auf eine Billion Yen (7,8 Milliarden Euro) geschätzt. Doch Tepco hat bereits 300 Milliarden Yen ausgegeben und rechnet inzwischen mit den fünffachen Sanierungskosten. Das Unternehmen braucht bis März 2014 allein acht Milliarden Euro frisches Kapital, nur um seine alten Schulden bedienen zu können.

Verspätete Einsicht der Regierung

Damit fehlt Tepco schlichtweg das Geld für notwendige Reparaturmaßnahmen in Fukushima. Aber erst die radioaktiven Lecks haben die japanische Regierung zu der Einsicht gezwungen, dass sie Tepco nicht mehr alleine lassen kann.

Bauarbeiten an einem Schutzwall gegen radioaktives Wasser in Fukushima (Foto: REUTERS/Kyodo)
Bauarbeiten an einem Schutzwall gegen radioaktives Wasser in FukushimaBild: Reuters

Premierminister Shinzo Abe wies daher das Industrieministerium an, den Konzern im Kampf gegen verstrahltes Wasser zu unterstützen. Erstmals sollen Steuergelder für die Atomkatastrophe fließen. Als erste Summe sind 40 Milliarden Yen (300 Millionen Euro) im Gespräch. Mit dem Geld baut Tepco einen gefrorenen Wall in den Boden, damit weniger Grundwasser in die Untergeschosse der Reaktorgebäude gelangt.

Dabei werden Rohre mit einer Kühlflüssigkeit senkrecht in den Boden gedrückt. Die Konstruktion in Fukushima soll die Reaktoren 1 bis 4 auf einer Länge von 1,4 Kilometer umschließen und bis zu 30 Meter tief in den Boden reichen. Die Technik ist zwar aus dem Tunnelbau bekannt, aber wurde in dieser Form noch nie erprobt.

Wegen des hohen Stromverbrauchs über viele Jahre ist die Schutzmauer auch im Unterhalt sehr teuer. Tepco habe dafür kein Geld, deshalb müsse der Staat einspringen, erklärte ein Ministeriumssprecher.

Hilflos gegen verstrahltes Grundwasser

Das Eingreifen der Regierung hat neue Zweifel an der Kompetenz von Tepco für die Aufräumarbeiten in der zerstörten Atomanlage geschürt. Kritiker verweisen auf den Zusammenbruch der Reaktorkühlungen im Frühjahr 2013. Die Ursache war ein Kurzschluss, der durch eine Ratte ausgelöst wurde - Tepco hatte bislang nur eine provisorische Elektrik installiert.

Leitender Tepco-Manager Masayuki Ono (Foto: AFP/Getty Images)
Leitender Tepco-Manager Masayuki Ono: "Lecks sind außerhalb unserer Kontrolle"Bild: Y.TSUNO/AFP/Getty Images

Ebenso könnte das überlaufende Grundwasser ein Hinweis auf die Unfähigkeit von Tepco sein: Denn erst der Bau einer neuen Barriere im Boden hatte den Grundwasserspiegel steigen lassen. "Diese Lecks liegen außerhalb unserer Kontrolle", räumte Tepco-Manager Masayuki Ono ein.

Die Menge an kontaminiertem Wasser wächst so rasch, dass am Ende nur die Lösung bleibt, es in den Pazifik einzuleiten. "Die Situation liegt bereits außerhalb der Möglichkeiten von Tepco", meinte der Atomkritiker und frühere AKW-Konstrukteur Masashi Goto. Tepco weigere sich nicht, das Notwendige zu tun. Aber es gebe keine perfekten Lösungen.

Der Chef der neuen Atomaufsicht, Shunichi Tanaka, deutete schon sein Einverständnis an, falls das Wasser weniger verstrahlt sei als erlaubt.