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Fußball, Franzosen, Freunde

Christian Ignatzi5. Juli 2014

Deutschland - Frankreich: Wo ließe sich so ein Derby besser schauen als in Saarbrücken, Deutschlands französischster Stadt? Unser Reporter berichtet von einem Spiel hart an der Grenze.

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Zwei Restaurantmitarbeiter tragen Plastikblumenketten in den Farben Frankreichs und Deutschlands
Bild: DW/C. Ignatzi

Jubel in seinem Wohnzimmer! Etwas anders hatte sich Benoît Gausse das allerdings schon vorgestellt. 1:0 von Mats Hummels in der Anfangsphase der WM-Viertelfinalpartie zwischen Deutschland und Frankreich, Benoîts Team ist in Rückstand geraten. Nun freut sich sein Kollege und Freund Daniel Mohrmann über das Tor. "Macht nichts", sagt der Franzose Benoît: "Ich habe eh auf Deutschland getippt." Ein friedlicher Fußballabend unter Deutschen und Franzosen trotz eines brisanten Viertelfinales - in der der deutschen Grenzstadt Saarbrücken ist das nichts Außergewöhnliches.

Schon am Nachmittag vor dem Spiel ist es ruhig in der Stadt. 500 Meter von der deutsch-französischen Grenze entfernt hat ein Sportwettenanbieter seine Türen geöffnet. Im Lokal: Gähnende Leere. "Die sind alle schon in der Stadt, um sich das Spiel anzusehen", sagt der Mann an der Theke, der sich nur Paul nennt. "Aber wir haben heute solch einen großen Wettumsatz gemacht wie schon lange nicht mehr."

Die Arbeitskollegen Benoit und Daniel, fotografiert am Abend des WM-Viertelfinalspiels zwischen Deutschland und Frankreich (Foto: Christian Ignatzi/DW)
Einer jubelt, für den anderen ist's in Ordnung: Benoît (links) und DanielBild: DW/C. Ignatzi

Sowohl Deutsche als auch Franzosen wetten hier regelmäßig - die Grenzgänger aus dem Nachbarland sind überall in Saarbrücken und der Region gern gesehene Gäste. Das kleine Saarland ist Deutschlands französischstes Bundesland - eine Zeitlang gehörte es sogar ganz offiziell zu Frankreich. Und bis 2043 soll Französisch im Saarland die zweite Verkehrs- und Umgangssprache werden - rund 100 Jahre, nachdem Deutsche und Franzosen im Zweiten Weltkrieg zuletzt gegeneinander kämpften.

Ausgerechnet: Franzosen kommen zum Essen nach Deutschland

"Die beiden Weltkriege, die viel Vertrauen zwischen unseren Nationen zerstört haben, sind noch in den Köpfen vieler", sagt Cyrille Faivre (Artikelbild). Der Franzose ist Küchenchef im Saarbrücker Gasthaus Zahn und stellt fest, dass am Viertelfinalabend so wenig Franzosen in seinem Restaurant sind wie schon lange nicht mehr. "Wir haben hier an den meisten Abenden 70 Prozent aus Frankreich. Heute ist es gerade einmal ein Viertel, wenn überhaupt."

Tatsächlich sind in den vielen Lokalen in der Innenstadt, die das Spiel auf Leinwänden und Flachbildfernsehern übertragen, nicht viele Franzosen zu sehen. Und wenn, dann ist es die jüngere Generation, die den Weg über die Grenze gefunden hat. In der Shisha-Bar Sahara etwa sitzen die französischen Fans in einer eigenen Ecke des Lokals. Mathieu trägt das Trikot seiner Equipe Tricolore mit Stolz. Warum er das Spiel im Land des Gegners ansieht? "Saarbrücken ist einfach die große Stadt in unserer Region", sagt er. "Es ist egal, ob sie in Deutschland oder Frankreich liegt. Hier ist heute eine tolle Stimmung, wir haben einen schönen Abend und sehen ein gutes Spiel." Sein Freund Adrian fügt hinzu: "Außerdem müssen wir unsere Equipe auch hier in Deutschland unterstützen."

Die menschenleere Fußgängerzone von Saarbrücken (Foto: Christian Ignatzi/DW)
Straße leer, Kneipen voll: Saarbrückens Fußgängerzone an diesem ungewöhnlichen FreitagabendBild: DW/C. Ignatzi

"Hier will doch niemand Stress machen"

Eine Gruppe junger Franzosen sieht sich das Spiel in einem italienischen Restaurant an. Der Inhaber Michele Ricciolini hat seine eigene Erklärung, warum an diesem Abend weniger Franzosen in seinem Lokal sind als sonst: "Ich vermute, dass sie keinen Stress machen und jeder Provokation aus dem Weg gehen wollen."

Franzose Cyrille Faivre glaubt das nicht: "Hier will doch niemand Stress machen", sagt er. "Zwischen uns Franzosen und den Deutschen ging es schon immer freundschaftlich zu." Er glaubt: Im französisch angehauchten Saarland ist es etwas anderes als etwa in Hamburg, wenn Franzosen und Deutsche gemeinsam das Spiel ansehen. "Mit Sicherheit geht es bei uns freundschaftlicher zu." Seine Kollegin Martina Hollinger (Artikelbild) gibt ihm Recht und versichert, sich gar als halbe Französin zu fühlen. "Ich werde im Halbfinale auf jeden Fall der deutschen Mannschaft die Daumen drücken", sagt Cyrille, der mittlerweile seit 23 Jahren in Deutschland lebt. Er schmunzelt, als er sagt: "Die Saarbrücker haben mich ja mittlerweile schon adoptiert."

Menschen schauen in einer Gaststätte das WM-Viertelfinale Deutschland-Frankreich (Foto: Christian Ignatzi/DW)
Savoir vivre: Deutsche und Franzosen schauen gemeinsam das SpielBild: DW/C. Ignatzi

"Ach Schätzchen!"

Als der Schiedsrichter schließlich abpfeift und den 1:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft besiegelt, geht es tatsächlich friedlich zu. Eine Französin, Anfang 20, ihre Nationalflagge auf die Wange gemalt, wischt sich verschämt die Tränen aus dem Augenwinkel. Als ihr Freund sie zum Trost auf die Wange küsst, stößt ein älteres Paar mit Blumenketten in Deutschland-Farben um den Hals hinzu und nimmt die beiden in den Arm. "Ach Schätzchen!", beschwichtigt die Dame großmutterhaft. Eine Frau lächelt, als sie vorübergeht. Auf einer ihrer Wangen stehen mit Filzstift gemalt die Buchstaben "DE", auf der anderen "FR".

Während sich die Saarbrücker Innenstadt schlagartig wieder mit Leben gefüllt hat, regelt die Polizei den Verkehr der vor Freude wild hupenden deutschen Fans der deutschen Mannschaft. Ob es auch so friedlich geblieben wäre, wenn die Franzosen das Spiel gewonnen hätten? "Auf jeden Fall", ist sich ein Verkehrspolizist sicher. "Wir wissen aus Erfahrung, dass sie nicht hierher kommen, um unnötig zu provozieren. Das will keiner. Sie hätten das dann in Frankreich gefeiert."

Deutschlandflaggen an einer Häuserzeile in Saarbrücken (Foto: Christian Ignatzi/DW)
Deutschland gewinnt das Spiel - Saarbrücken gewinnt durch sein Flair als Deutschlands französischste StadtBild: DW/C. Ignatzi

"Dann bin ich jetzt eben für Deutschland"

Auch die deutsch-französische Privatparty in der Wohnung von Benoît Gausse geht zu Ende, das Hupen der Autokorsos wird leiser. An den vielen deutsch-französischen Freundschaften in der Grenzstadt hat die Fußball-Weltmeisterschaft mit Sicherheit nichts geändert. "Naja", sagt Benoît, als er seinen Freund verabschiedet. "Dann bin ich jetzt eben im Halbfinale für Deutschland."