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Fußball gegen den Frust

23. Juni 2010

In Argentinien träumen viele Jugendliche davon, durch den Fußball der Armut zu entfliehen. Doch nur wenigen gelingt der Sprung in den Profi-Sport. Aber Fußball kann soziale Verhältnisse verändern.

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Die Mannschaft des Fußballclubs Defensores del Chaco (Foto: DW/ Victoria Eglau)
Fußball hat ihr Leben und ihre Viertel verändert: die "Defensores del Chaco"Bild: DW

Chaco Chico liegt in der Nähe von Buenos Aires, im Vorort Moreno. Eine kleine Siedlung mit staubigen Straßen und einstöckigen Häusern. Die meisten Fassaden sind unverputzt, so, als wäre den Bewohnern während des Baus das Geld ausgegangen. Rund achttausend Menschen leben hier. Das Gebäude des Fußballclubs mit seinen knallbunt angemalten Außenwänden sticht heraus aus dem vorherrschenden Grau. An die Fassade hat jemand in großen Graffiti-Buchstaben den Satz geschrieben Der Fußball ist der Puls eines Viertels, der immer schlagen wird. In Chaco Chico ist dies wörtlich zu nehmen. Der Verein "Defensores del Chaco", auf Deutsch "Verteidiger des Chaco", ist so etwas wie das Herz des Viertels.

Jugendliche beim Bußballtraining auf einem Rasenplatz (Foto: DW/ Victoria Eglau)
Wo früher die Müllkippe des Viertels war, trainieren die Jugendlichen heute auf einem grünen RasenplatzBild: DW

"Vor fünfzehn Jahren konnten Fremde nicht ins Viertel kommen, weil es gefährlich war“, sagt Maximiliano. "So gefährlich wie viele Orte in den Vorstädten von Buenos Aires“, fügt er hinzu. Maximiliano ist erst 24 und bereits Clubpräsident. Er ist klein und durchtrainiert und in Chaco Chico aufgewachsen. "Es gab keine Hoffnung im Viertel, keine Würde, es herrschten Gewalt und Kriminalität“, erinnert er sich. "In Orten wie diesem machen Lokalpolitiker den Leuten falsche Versprechen. Die Menschen hier waren sehr apathisch, sie hatten keinen Glauben mehr.“

Der Traum vom eigenen Fußballverein

Die Zeit, von der er erzählt, erlebte Maximiliano als Kind. Als sich die Geschichte zutrug, die in Chaco Chico längst Legenden-Status hat, war er neun Jahre alt. Die Geschichte begann an einer Strassenecke, wo die Jugendlichen des Viertels gewöhnlich rumhingen.

Zwölf von ihnen beschlossen eines Tages, an einem städtischen Fußballturnier teilzunehmen. "Die Jungs machten mit und erreichten das Finale!“, ist Maximiliano, heute noch begeistert. "Zum Endspiel kamen alle Bewohner des Viertels, was uns Kinder und Jugendliche sehr überraschte, denn die Nachbarn hatten uns nie für etwas anerkannt. Unsere Mannschaft hat gewonnen! Wir fühlten uns wirklich zum ersten Mal anerkannt.“

Lionel Messo und Diego Maradona (Foto: AP)
Lionel Messi und Diego Maradona sind die großen Vorbilder für die Kinder und Jugendlichen von Chaco ChicoBild: AP

Nach diesem Erfolg stand für die Jugendlichen fest: Sie wollten einen eigenen Fußballplatz. Sie malten ein Schild und steckten es in den Boden: In Kürze eröffnet hier der Club Defensores del Chaco. "Eine große Verrücktheit und ein großer Traum", meint Maxi.Wo an diesem Nachmittag eine Jugendmannschaft dem Ball hinterher jagt, befand sich vor fünfzehn Jahren eine Müllkippe. Damals war es tatsächlich verrückt, an einen eigenen Fußballplatz oder gar einen eigenen Club zu denken. In Vierteln wie Chaco Chico ist es normal, dass Jugendliche auf der Straße oder auf brachliegenden Grundstücken kicken – so wie einst Diego Maradona.

"Ohne den Club würde ich vielleicht Autos klauen“

Auch, wenn es ein bisschen wie ein Märchen klingt: Die zwölf Jugendlichen mit ihrem Traum vom eigenen Fußballclub fanden geschickte Berater und taten verschiedene Geldquellen auf: Stiftungen, internationale Organisationen und Unternehmen. Auch vom argentinischen Staat und lokalen Firmen kam Unterstützung. Heute ist Defensores del Chaco ein Club, dessen Einzugsgebiet weit über Chaco Chico hinausreicht. Rund 1.700 Kinder und Jugendliche betreiben verschiedene Sportarten – neben Fußball vor allem Handball und Basketball. Es gibt auch ein Kulturzentrum.

Der Verein will keine neuen Messis oder Maradonas heranzüchten, sondern durch Sport und Kultur das Lebensumfeld verändern, und Jugendlichen Perspektiven bieten. "Der Club ist mein Leben. Ich bin den ganzen Tag hier“, gesteht Gabriel, ein freundlicher Neunzehnjähriger mit Wuschelkopf. Defensores del Chaco sei für ihn eine Leidenschaft. "Wenn der Club nicht gewesen wäre, würde ich vielleicht Autos klauen oder wäre im Gefängnis. Unser Viertel ist nicht einfach. Ich bin in Zeiten aufgewachsen, die für uns Argentinier wirtschaftlich sehr schwierig waren. Bei mir zuhause gab es manchmal ziemliche Probleme, und im Club fand ich ein bisschen Halt.“

Neuer Stolz aufs Viertel

Jugendliche im Kulturzentrum des Vereins "Defensores del Chaco" (Foto: DW/ Victoria Eglau)
Das Clubheim der "Defensores del Chaco" ist Treffpunkt und Kulturzentrum in einem.Bild: DW

Gabriel wendet sich den acht bis zehnjährigen Kickern zu, die mit verschwitzten Gesichtern vor ihm im Gras sitzen. Auf Gespräche wird viel Wert gelegt im Club. Oft geht es um Fairplay, um Fußball ohne Gewalt. Gabriel ist Trainer der jüngsten Fußballmannschaft von Defensores del Chaco. Und er studiert, um Sportlehrer zu werden. Dafür bekommt er vom Verein ein kleines Stipendium, das ausreicht, um Studiengebühren und Fahrtkosten zu bezahlen.

Gabriel findet, dass in Chaco Chico durch den Fußballclub vieles besser geworden ist. "Der Club hat das Viertel zu hundert Prozent verändert: die Leute, ihre Art zu denken, und den Umgang der Jugendlichen miteinander.“ Der Club habe Farbe nach Chaco Chico gebracht, die Bewohner hätten wieder Lust, hier zu leben, ist Gabriel überzeugt. Und sie gingen besser mit dem Viertel um, schmissen keinen Abfall mehr auf die Strasse. "Schließlich kommen andere Mannschaften zu uns. Die Leute haben gelernt, dass es ihr Viertel ist, und sind stolz darauf. „


Autorin: Victoria Eglau
Redaktion: Mirjam Gehrke