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Politik

Empörter Kerry greift Russland an

4. Oktober 2016

John Kerry ist als Außenminister der USA eine "lame duck". Er wird bald gehen und weiß das auch. In Brüssel wurde er zum Abschied noch einmal grundsätzlich und angriffslustig. Bernd Riegert berichtet.

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John Kerry während seiner Rede vor dem German Marshall Fund in Brüssel
Bild: picture-alliance/AP/G. Vanden

"Ich habe nur noch wenige Monate im Amt", räumte der amerikanische Außenminister John Kerry bei einer Rede vor dem "German Marshall Fund", einer Denkfabrik in Brüssel, ein. "Aber ich werde bis zur letzten Minute arbeiten", versprach Kerry, der in den letzten Tagen schwere Rückschläge bei seinem Bemühen um eine friedliche Lösung für Syrien einstecken musste. Kerry sagte bei einer Grundsatzrede in Brüssel, er werde zwar nicht mehr mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow über einen Waffenstillstand sprechen, aber die Suche nach einem Ende der Gewalt in Syrien sei natürlich nicht zu Ende. "Wir werden das syrische Volk nicht aufgeben", sagte Kerry. Er werde weiter in der Syrien-Unterstützergruppe, in der auch Russland Mitglied ist, und bei den Vereinten Nationen auf einen Frieden hinarbeiten. "Wir bleiben engagiert", betonte Kerry. Die Schuld an dem fehlgeschlagenen Waffenstillstand schob der scheidende Außenminister ganz klar der russischen Führung zu. Sie habe die '"unverantwortliche" und falsche Entscheidung getroffen, sich mit dem Regime des syrischen Präsidenten Assad gemein zu machen. Dieser ermorde seine eigenen Landsleute und setze Gas als Waffe ein. Die Russen, daran ließ Kerry keinerlei Zweifel, stünden auf der falsche Seite. "Sie schauen absichtlich weg, wenn Assad Fassbomben und Gas einsetzt." Das sage er voller Empörung und Traurigkeit.

Sergei Lawrow John Kerry New York City
Das Telefon schweigt: Kerry (li.) will mit Lawrow nicht mehr über Waffenruhe redenBild: picture-alliance/dpa/A.Shcherbak

"Russland verhindert Waffenruhe"

Syrien sei der schrecklichste Kriegsschauplatz seit dem Zweiten Weltkrieg, so Kerry weiter. Gleichzeitig sei der Konflikt so vielschichtig, dass er kaum zu durchschauen sei. "Ich habe das Gefühl, wir führen hier sechs Kriege gleichzeitig." Obwohl die diplomatischen Kontakte auf höchster Ebene zwischen dem russischen und dem amerikanischen Außenminister erst einmal auf Eis liegen, gehen die praktischen militärischen Kooperationen weiter. US-Außenminister Kerry sagte, das russische Militär und die amerikanisch geführte Allianz sprächen sich nach wie vor über Angriffe auf Terroristen ab. Den Vorwurf der russischen Seite, die USA seien schuld am Nichtzustandekommen des Waffenstillstandes in Syrien, wies John Kerry nachdrücklich zurück. Er sieht genau das Gegenteil. Die USA hätten alle Rebellengruppen davon überzeugt, bei einer Feuerpause mitzuziehen und Hilfstransporte zuzulassen, nur das Assad-Regime habe weiter Bomben geworfen. "Russland weiß sehr genau, was es tun müsste, um eine Waffenruhe zu erreichen." Konkrete Schritte, um das Blutvergießen in Syrien einzudämmen, kündigte der amerikanische Außenminister nicht an.

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Demagogen nicht nachlaufen

Eigentlich wollte Kerry am Rande der internationalen Afghanistan-Geberkonferenz ja auch eher eine Grundsatzrede zu den transatlantischen Beziehungen und zur NATO halten. Die USA bräuchten ein starkes, vereintes Europa, sagte Kerry mit Blick auf den Brexit, den geplanten Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Dies hält der amerikanische Außenminister, der selbst als Diplomatenspross seine Kindheit in Europa verbrachte, für unabdingbar. Die Antwort auf den Brexit müsse daher ein noch stärkeres Europa sein. Man dürfe Demagogen nicht nachgeben oder nach dem Munde reden. Beim Thema Einheit und Sicherheit Europas wandte sich John Kerry auch direkt an das russische Volk. "Die Russen sollten wissen, trotz allem, was ihre Führung ihnen manchmal einredet, unsere Allianz ist nicht darauf aus, ihre oder irgendeine andere Nation zu isolieren, zu schwächen oder zu missachten." Man werde aber die illegale Annexion der Krim und Russlands Einmischung in der Ostukraine niemals hinnehmen. Deshalb müssten die Sanktionen gegen Russland auch bis auf Weiteres in Kraft bleiben.

In seiner fast einstündigen Rede streifte der US-Außenminister noch eine ganze Reihe von Themen. Vom Freihandel über Flüchtlingspolitik bis zum Klimaschutz spannte er den Bogen. Die Grundaussage des Vietnamkriegs-Veteranen blieb immer gleich: "In meinem achten Lebensjahrzehnt kann ich sagen, ich sehe immer noch eine starke transatlantische Gemeinschaft, und ich bleibe zuversichtlich." Der Mensch könne mit allen Herausforderungen fertig werden. "Wir sind eine sehr widerstandsfähige Spezies."

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John Kerry und John Edwards mit Familie in Boston
Präsidentenwahl 2004: Kerry verlor gegen Republikaner BushBild: AP

Auf eine Frage, was er denn von der Ankündigung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump halte, die NATO völlig umzukrempeln, reagierte Kerry plötzlich schwerhörig. "Wer? Wen meinen Sie?", fragte er unter Gelächter des Publikums. "Ach ja, Donald Trump! Den meinen Sie", grinste Kerry. "Sehen Sie, ich darf mich von Gesetz wegen nicht zum Wahlkampf äußern, aber ich vertraue auf die Urteilskraft der amerikanischen Wähler." Und schmunzelnd erinnerte der US-Chefdiplomat daran, dass er ja im Laufe von 40 Jahren in der Politik sehr oft Wahlkampf für die demokratische Partei gemacht habe: "Na, das war jetzt doch eine diplomatische Antwort, oder?", fragte John Kerry zum Abschluss.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union