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Friedenspreis für Jürgen Habermas

25. September 2001

Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas erhält den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

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Für seine bedeutenden gesellschaftskritischen Arbeiten erhält der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er wird als ein Zeitgenosse geehrt, "der den Weg der Bundesrepublik ebenso kritisch wie engagiert begleitete, der mehr als einer Generation die Stichworte zur geistigen Situation der Zeit vermittelte und der von einer weltweiten Leserschaft als der prägende deutsche Philosoph wahrgenommen wird." Habermas ist der 52. Preisträger des mit 25.000 Mark dotierten Friedenspreises, der ihm am 14. Oktober in der Frankfurter Paulskirche überreicht wird.

Jürgen Habermas, geboren 1929 in Düsseldorf, studierte Philosophie, Geschichte, Psychologie, deutsche Literatur und Ökonomie in Göttingen, Zürich und Bonn, wo er 1954 promovierte. Von 1955 bis 1959 war Habermas Assistent am Frankfurter Institut für Sozialforschung, später Professor für Soziologie und Philosophie an der Frankfurter Universität. Dort wurde er 1994 emeritiert. Zwischenzeitlich war Habermas 1971 bis 1980 Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg, anschließend Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften in Starnberg. Dort lebt er noch heute.

Habermas hat als kritischer Denker den gesellschaftlichen Diskurs in den vergangenen Jahrzehnten analysiert und mitgeprägt. Der Philosoph und Soziologe war ein Vordenker der Studentenbewegung in den 60er Jahren. Mit seiner Replik auf den Historiker Ernst Nolte löste er Mitte der 80er Jahre den Historikerstreit zur Frage des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit aus. Im Bundestagswahlkampf 1998 konfrontierte er den SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder mit seinen postnationalen Überlegungen zu Politik und Wirtschaft im Zeitalter der Globalisierung. Mit seinen Theorien verfolgt er stets das Ziel, stabile Fundamente für die Demokratie zu legen. Damit wirkte Habermas als eine Art innergesellschaftlicher Friedensstifter.

So distanzierte er sich auch während der Studentenbewegung bald von der Mehrheit der radikalen Studenten, die auf sein Eintreten für Grundsätze der liberalen Demokratie mit Enttäuschung reagierten. In einer Auseinandersetzung mit Rudi Dutschke bezeichnete er dessen Ansichten als "linken Faschismus". Zwar wollte auch Habermas die verkrusteten und nationalistischen Strukturen im Nachkriegsdeutschland aufweichen, doch dafür nicht leichtfertig die "elementaren, Freiheit verbürgenden Prinzipien unserer Rechtsordnung" aufs Spiel setzen.

Seine geistige Heimat hat Habermas, der am 18. Juni 72 Jahre alt wird, in der von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer begründeten "Frankfurter Schule". Deren "Kritische Theorie" wollte er aus dem universitären Elfenbeinturm heraustragen und direkt unter das Volk bringen.

Immer wiederkehrende Motive in seinen Schriften, darunter sein 1981 erschienenes Hauptwerk "Die Theorie des kommunikativen Handelns", sind die herrschaftsfreie Kommunikation, die Bindung staatlicher Macht an öffentliche Meinungs- und Willensbildungsprozesse sowie die Zivilisierung der politischen Herrschaft. An die Stelle des Nationalismus wollte er den "Verfassungspatriotismus" setzen, in dem sich die Deutschen mit den Werten des Grundgesetzes und den Spielregeln des parlamentarischen Rechtsstaats identifizieren sollten.

So abstrakt und theorielastig seine Denkgebäude oft klingen, so handfest diskutierte und stritt Habermas in der Vergangenheit immer wieder in der Praxis. Im Historikerstreit kritisierte er scharf die Thesen Noltes, der die Einzigartigkeit des nationalsozialistischen Völkermords in Frage stellte und mit den Verbrechen Stalins in der Sowjetunion in Verbindung brachte. Habermas sah in dieser "Relativierung" der Nazi-Verbrechen den Versuch, diesen Teil der deutschen Geschichte "einzuebnen".

Welche Bedeutung Habermas auch heute noch hat, wurde an seinem China-Besuch im April deutlich. Dort hielt er Vorträge vor bis zu 2.000 begeisterten Sttudenten und Intellektuellen und wurde gefeiert wie ein Popstar. "Dass Habermas in China über Menschenrechte, Demokratie und bürgerliche Freiheit reden darf, das ist schon für sich ein Ereignis", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Und auch in China nahm Habermas kein Blatt vor den Mund: Wo Politiker sich oft in diplomatischer Zurückhaltung üben, hielt Habermas China den Spiegel vor und plädierte für die Einhaltung individueller Menschenrechte.

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Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 vergeben und ist eine der bedeutendsten Auszeichnungen in Deutschland. Mit dem Preis sollen Persönlichkeiten aus dem In- oder Ausland geehrt werden, die vor allem auf den Gebieten Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. Verliehen wird die mit 25.000 Mark dotierte Auszeichnung jedes Jahr während der Buchmesse im Herbst vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dem Dachverband der Verlage und Buchhandlungen in Deutschland. Ort der feierlichen Preisübergabe ist die Frankfurter Paulskirche, Tagungsort der Frankfurter Nationalversammlung von 1848, die für die demokratische Entwicklung Deutschlands von historischer Bedeutung war.

Die Preisträger werden von einem elfköpfigen Stiftungsrat mit einfacher Mehrheit gewählt. Vorschläge kann jedermann machen. Posthum wurde der Preis bisher einmal vergeben: 1972 an den polnischen Kinderarzt und Schriftsteller Janusz Korczak. Einzigartig blieb auch die Ehrung einer Institution mit dem Friedenspreis, der 1973 an den Club of Rome ging.

Wiederholt hat es Auseinandersetzungen um die Preisträger gegeben: Die Entscheidung für den senegalesischen Staatspräsidenten Senghor führte 1968 zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. 1974 und 1981 wurde die Feierstunde von Sympathisanten und Angehörigen der Terror-Organisation Rote Armee Fraktion (RAF) gestört. Umstritten war 1995 das Votum für die Orientalistin Annemarie Schimmel aus Bonn, der Kritiker mangelnde Distanz zu fundamentalistischen Positionen des Islams vorwarfen. Eine Kontroverse löste der Schriftsteller Günter Grass 1997 aus, als er in seiner Laudatio auf den türkischen Preisträger Yasar Kemal die Kurdenpolitik der Bundesrepublik kritisierte. 1998 entbrannte nach der Rede des Preisträgers Martin Walser eine monatelange Dikussion in Deutschland über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit.