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Alte Handwerkskünste zum Mitmachen im Freilichtmuseum Hagen

Julia Hitz20. August 2016

Das Freilichtmuseum von Hagen konzentriert sich ganz auf die Handwerkskünste. Sie werden nicht nur ausgestellt – in den 24 Werkstätten auf dem hügeligen Gelände arbeiten viele der letzten Profi-Handwerker ihrer Art.

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Deutschland - Freilicht Hagen. Foto: Julia Hitz/DW
Bild: DW/J. Hitz

Für Familien kommt die erste Entlastung gleich neben der Kasse rechts: Gegen einen Pfand können die Großen den Kleinsten zu einem Bollerwagen verhelfen. Auf den zwei Kilometern Wegstrecke durch die Handwerkskünste Westfalens schont das ungeübte Kinderbeine – und die Nerven der Eltern.

Deutschland - Freilicht Hagen. Foto: Julia Hitz/DW
Groß und klein mit BollerwagenBild: DW/J. Hitz

Das Freilichtmuseum in Hagen ist nach eigenem Bekunden das einzige in Europa, das sich ausschließlich auf Handwerk und Technik konzentriert. Freilichtmuseen sind normalerweise in erster Linie volkskundlich ausgerichtet und wollen die Lebensumstände vergangener Zeiten in der Region erfahrbar machen. Im Hagener Museum wurden die belebten Werkstätten nach der Gründung 1973 zum Alleinstellungsmerkmal. Mittlerweile sind es 24, die sich auf ein 43 Hektar umfassendes Gelände verteilen. Hagen liegt zwar mitten im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen, das Museum ist aber idyllisch imWald gelegen, gleich an der Pforte des hügligen Sauerlands.

Hephaistos und die Handelskammer

In der Hammerschmiede Ante stehen die Besucher zumeist dich gedrängt. Das liegt sicher auch an den rhetorischen Qualitäten von Schmiedemeister Stefan Austermann. Der punktet nicht nur mit Wissen über den griechischen Gott Hephaistos, dem Gott des Feuers und des Metalls. Unter dem nervösen Kichern der Eltern stiftet er die Kinder zum zivilen Ungehorsam an: Hämmern zuhause sei unbedingt erlaubt, sagt der Schmied: "Meine Eltern mussten auch leiden", Kinderlärm falle schließlich nicht unter das Lärmschutzgesetz. Die Industrie- und Handelskammer mit ihrer Regulierungswut wird genauso kritisiert, wie das aktuelle Ausbildungssystem in Deutschland. Umgebung und Handwerk sindt historisch, die Themen jedoch aktuell. Fast nebenbei behält Austermann wortwörtlich die Eisen im Feuer, schmiedet, hämmert, prüft sein Werk. "Die Schmiede waren die Bildungselite unter den Handwerkern", erzählt der Meister seines Fach sichtlich stolz.

Deutschland - Freilicht Hagen
Meister mit Hammer und AmboßBild: DW/J. Hitz

35 gelernte Handwerker sind insgesamt für die historischen Werkstätten im Hagener Museum angestellt. Die Handwerker referieren nicht nur, sie verstehen sich als Botschafter ihres Faches. Es sind keine außergewöhnlichen Betriebe, aber sie zeigen das lokale Handwerk in seiner ganzen Bandbreite. Neben dem Museum gibt es auch ein Kompetenzzentrum, in dem die Handwerkstechniken systematisch dokumentiert werden. Von den 24 Werkstätten sind jeden Tag durchschnittlich 18 in Betrieb: Es zischt, brodelt oder hämmert in fast jedem der kleinen Fachwerkhäuser um die sich verschlungene Pflastersteinpfade schlängeln. Manchmal steigt dem Besucher auch beißender Rauch in die Nase.

Mitmachen erlaubt

Deutschland - Freilicht Hagen. Foto: Julia Hitz/DW
Bitte, einmal Leine ziehen...Bild: DW/J. Hitz

Wenn Erwachsene es schaffen, die Kinder an diversen Hindernissen wie Klettergarten, Restaurant, Wasserspielplatz vorbei bis in den Ortskern der Handwerkergemeinde zu lotsen, werden sie umso eher mit einem Biergartenbesuch und der Schnapsbrennerei belohnt. Hier sind auch die Besucher-Magneten zu finden: der Sensenhammer und die Seilerei. "Ich will das auch mal machen“, quengelt die achtjährige Laura als sie sieht, dass ihr ein anderes Kind den beliebten Platz am Seilerwagen wegschnappt. Die Besucher schätzen am Freilichtmuseum Hagen besonders die Kombination mit der idyllischen Landschaft, weg von Straßenlärm und Stadtluft. Die Besucherzahlen sind konstant bei rund eintausend Tagesgästen. Zu Spezial-Events kommen bis zu 3000 Besucher. In der Ferienzeit sind es Familien, ansonsten machen Schulklassen das Haupt-Kontingent des Freilichtmuseums aus. Für Schüler setzt man vor allem auf das Mitmachen, etwa den Rennofenbau oder auch die Papierherstellung.

Anfassen erwünscht

Deutschland - Freilicht Hagen. Foto: Julia Hitz/DW
Bürstenmacher ÖzdenBild: DW/J. Hitz

"Ich suche eher das persönliche Gespräch“, sagt Arif Özen, der schon seine achte Saison im Freilichtmuseum absolviert. In seine winzige Besen- und Bürstenmacherei passen kaum mehr als sechs Leute. Die dürfen dann nicht nur zusehen, sondern vor allem anfassen: "Oh so weich", befndet ein fünfjähriges Mädchen, als es den gerade fertig gestellten Spinnenfeger anfasst. "Das ist chinesisches Ziegenhaar, nur das ist so weich und lang" erklärt Arif geduldig. Wenn er ertastbaren Unterschiede benennt, weiss er, wovon er spricht. Der Dreißigjährige hat nur fünf Prozent Sehfähigkeit: Besen- und Bürsten herstellen ist ein traditionelles Blindenhandwerk. Sinnliche Erfahrung fördert diel angfristige gedankliche Verankerung von Wissen auf effektive Weise. Auf diese Erkenntnis setzten das Freilichtmuseen in besonderer Weise.

Der Mitnahme-Effekt: mehr als Brot, Bier und Besen

Die Handwerker referieren nicht nur, sie produzieren: Kupfergeschmeide, frischer Kaffee oder kleine Besen lassen sich später im Krämer- oder Souvenirladen käuflich erwerben. Besonders beliebt ist das selbst gebackene Brot: mehr als 500 Brotlaibe gehen Tag für Tag über den Ladentisch, am frühen Vormittag ist es meist ausverkauft.

Deutschland - Freilicht Hagen. Foto: Julia Hitz/DW
Bild: LWL-Freilichtmuseum Hagen

Nicht dass man zwingend auf die Einkünfte angewiesen wäre: Das Freilichtmuseum Hagen ist finanziell gut aufgestellt. Es gibt ein Entwicklungsplan für neue Werkstätten. Außerdem hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Hausherr gerade eine Bähnchen als neues Beförderungssystem für die Besucher des Museums abgesegnet. Bis es so weit ist, bringt der Bollerwagen sicher am meisten Spaß - vor allem, wenn man drin sitzt.