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"Freilassung Suu Kyis als Türöffner"

17. November 2010

Der Italiener Piero Fassino ist Sondergesandter der Europäischen Union für Birma. Welche Hoffnungen die EU mit der Freilassung von Aung San Suu Kyi verknüpft, darüber sprach er im Interview mit DW-WORLD.DE.

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Piero Fassino, EU-Sondergesandter für Birma (Foto: dpa)
Piero Fassino, EU-Sondergesandter für BirmaBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Birmas Militärregierung hat die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi freigelassen, nachdem sie fast 15 Jahre unter Hausarrest stand. Wie sieht die Europäische Union diesen Schritt?

Piero Fassino: Das Wichtigste für ihre Familie und ihr Volk ist, dass Aung San Suu Kyi endlich frei ist. Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass es Aung San Suu Kyi ermöglicht wurde, in die Politik zurückzukehren, zu einem Zeitpunkt da Birma in einer entscheidenden und empfindlichen Phase ist. Es wurden Wahlen abgehalten, ein neues Parlament wurde gewählt. Es wird im kommenden Februar die Arbeit aufnehmen, das wird zu einer neuen zivilen Regierung führen, die dann die Macht von der Militärjunta übernehmen soll. Dies könnte der Beginn einer von politischen und institutionellen Veränderungen geprägten Periode sein. Es ist von besonderer Bedeutung, dass Aung San Suu Kyi an dieser neuen politischen Phase als eine Haupt-Akteurin teilnehmen kann.

Die jüngsten Wahlen waren ein Schritt in Richtung einer sogenannten "disziplinierten Demokratie", wie die Militärjunta sagt. Betrachtet die Europäische Union die Wahlen als wahrhaft demokratischen Prozess?

Die Wahlen wurden in einem Kontext abgehalten, der nach wie vor stark vom Regime kontrolliert und vorbereitet wurde. Sie folgten zweifelhaften Wahlgesetzen und -regeln, die sicherlich nicht mit europäischen und internationalen Standards übereinstimmten. Dennoch muss man beachten, dass während der Wahlkampagne die Zivilgesellschaft und die oppositionellen Kräfte bewiesen haben, dass sie sehr lebendig sind. Wichtig ist auch, dass sich trotz aller Hindernisse Oppositionsparteien für die Wahlen registriert haben. Eine umfassendere Bewertung dieser Wahlen werden wir erst abgeben können, wenn wir sehen, wie viele gewählte Vertreter der Oppositionskräfte und ethnischen Gruppen tatsächlich Sitze in den lokalen und nationalen Parlamenten erhalten. Wenn in diesen Parlamenten – wie ich hoffe – eine maßgebliche Zahl von Oppositionsparteien und Minderheiten vertreten ist, könnte dies ein kleiner Schritt in Richtung eines Transformationsprozesses sein, der in jedem Fall noch beschleunigt werden müsste.

Haben die Wahlen und die Freilassung von Aung San Suu Kyi eine Chance für einen Transformationsprozess in Birma eröffnet?

Die Freilassung von Aung San Suu Kyi ist ein erster Schritt. Nun müssen mehr Schritte in die richtige Richtung folgen: die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Eröffnung eines ehrlichen, aussagekräftigen Dialogs zwischen der Junta, der demokratischen Opposition, angeführt von Aung San Suu Kyi, und den Vertretern der ethnischen Minderheiten. In ihrer ersten öffentlichen Rede nach ihrer Freilassung mahnte Aung San Suu Kyi die Obrigkeit, einen Dialog zu beginnen und erklärte, dass sie bereit sei, Verantwortung beim Management des Übergangs zu übernehmen.

Solch ein Dialog muss frei und ehrlich sein, auf einen Übergang zur Demokratie abzielen und damit Birma erlauben, die Demokratie- und Freiheits-Standards zu erreichen, die alle freien Nationen auszeichnen. Um den Übergang zu erleichtern ist es wichtig, Maßnahmen zur nationalen Versöhnung anzustreben. Nur so kann man Stabilität erhalten. Stabilität ist ein Anliegen aller regionalen Akteure. Ein Dialog zwischen allen Teilen der birmanischen Gesellschaft und eine gemeinsame Verantwortung bei der Bewältigung des Übergangs sind die besten Voraussetzungen, um einen demokratischen Prozess und Stabilität sicherzustellen.

Birma ist ein Vielvölkerstaat mit über 130 ethnischen Minderheiten, von denen viele seit Jahrzehnten für mehr Selbstbestimmung kämpfen. Wie steht die EU zu deren Kampf um mehr Autonomie?

Von Anfang an war Birma gekennzeichnet durch seine vielen Ethnien. Die Europäische Union verurteilt jede Form von Feindseligkeit und Unterdrückung gegenüber ethnischen Minderheiten. Im Rahmen des gegenwärtigen politischen Übergangs müssen die ethnischen Gemeinschaften zum politischen Prozess dazugehören und Teil von ihm werden. Eine der zentralen Angelegenheiten, die im Zusammenhang mit diesem Übergang geregelt werden müssen, ist, wie der Respekt vor den Rechten der Minderheiten, ihre Autonomie und die Möglichkeit, uneingeschränkt am Leben im Land teilzunehmen, sichergestellt werden.

Welche Maßnahmen und Initiativen wird die Europäische Union ergreifen, um den Übergang Birmas zu einem pluralistischeren System voranzutreiben?

Wir sollten nichts voraussetzen. Wir hoffen sicherlich, dass die Freilassung von Aung San Suu Kyi eine Tür öffnen kann, und wir fragen nun, nach ihrer Freilassung, nach mehr bedeutungsvollen Gesten, die deutlich den Willen der Regierung zu einem demokratischen Übergang zeigen. Die internationale Gemeinschaft muss Birma ganz oben auf der politischen Agenda behalten und den demokratischen Prozess begleiten und unterstützen. Dafür brauchen wir eine Politik, die darauf abzielt, unsere Verbindungen mit Birma zu vertiefen.

Wir müssen die humanitäre Hilfe verstärken, vor allem in den Gebieten, die durch den Sturm "Nargis" zerstört wurden. Dort sind Wiederaufbau und Rehabilitierungsmaßnahmen notwendig. Wir müssen mehr Entwicklungshilfe für die Menschen in Birma leisten, in lebensnotwendigen Bereichen wie Wasserversorgung, Bildung, Gesundheit, Hilfe für Kinder. Wir müssen außerdem der Zivilgesellschaft helfen, sich selbst zu strukturieren. Und schließlich müssen wir Birma begleiten beim Aufbau demokratischer Institutionen, die das Land bisher noch nie hatte.

Das Gespräch führte Ana Lehmann
Redaktion: Esther Broders