1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Freiheit für Wisente in Gefahr

Irene Banos Ruiz /sst3. März 2016

Es galt als Erfolgsmodell: Die einst ausgestorbenen Wisente wurden zurück in deutsche Wälder geholt. Ein Konflikt mit lokalen Bauern bedroht jedoch die neugewonnene Freiheit der Bison-Art.

https://p.dw.com/p/1I6V9
Wisent Welt in Wittgenstein
Bild: Wisent-Welt-Wittgenstein

Wilde Wisente grasen auf einer schneebedeckten Lichtung in einer abgeschiedenen Gegend im Westen Deutschlands. Die Kälte, die Ruhe und die schiere Größe des Waldes sind genauso atemberaubend wie die Tiere selbst. Die imposante Bison-Art gehört zu den am stärksten bedrohten Säugetieren der Welt.

Doch mit der Freiheit der Wisente könnte es schon bald vorbei sein. Denn ein Streit mit lokalen Bauern könnte den Tod der Tiere zur Folge haben.

Willkommen zuhause

2013 wurden acht Wisente-Herden im Rothaargebirge im Westen Deutschlands zurück in die Freiheit entlassen - der erste Versuch in ganz Mitteleuropa, die dort ausgestorbene Spezies wieder anzusiedeln.

"Das ist das erste Projekt, das Wisente wieder zurück nach Deutschland holt", sagt Bernd Fuhrmann stolz. Er ist Bürgermeister der Stadt Bad Berleburg und Präsident des Wisent-Vereins.

Eine Herde von 16 Tieren hat sich inzwischen hier im Rothaargebirge eingelebt und ist nun Teil des Ökosystems. Drei Wisente wurden bereits in Freiheit geboren.

Zurück in die Wildnis - nach 500 Jahren

Bereits vor fast 500 Jahren haben Menschen in Mitteleuropa die Wisente nahezu ausgerottet. Das letzte wilde Tier auf dem gesamten europäischen Kontinent wurde 1927 von Wilderern im Kaukasus im Süden Russlands getötet. Erhaltungsmaßnahmen wie etwa die Zucht in Gefangenschaft mit einigen wenigen Tieren in Zoos haben dafür gesorgt, dass Wisente 1952 bereits in den Bialowieza-Nationalpark in Polen und Weißrussland zurückkehren konnten.

Galerie / Global Ideas / Urwald Polen – 18
Wisente wurden auch in anderen europäischen Ländern ausgewildert, zum Beispiel in PolenBild: Mateusz Szymura

In Deutschland begann das Wisent-Projekt vor zehn Jahren, als Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg - der tatsächlich Verbindungen zu einer echten königlichen Familie hat - Wisente von Zoos und anderen Zuchtstationen aufkaufte.

Bevor der Verein die Tiere auswilderte, sei genauestens geprüft worden, ob die Wisente auch in Freiheit zurechtkämen und wie sie auf Menschen reagierten, sagt Johannes Röhl, der Koordinator des Wisent-Projekts, im DW-Gespräch. "Jedes Mal, wenn jemand die Wisente stören wollte, zogen sie sich auf eine ruhige Art und Weise zurück", so Röhl. Keine Herde wildgewordener Wisente würde auf den Marktplatz stürmen, scherzt er.

Tod oder Freiheit

Die Wisente kommen nun ohne menschliche Intervention zurecht. Allerdings wird immer noch debattiert, ob sie gegen Krankheiten geimpft und vom Tierarzt untersucht werden sollten.

Doch die Auswilderung der Wisente stößt nicht bei allen auf Begeisterung. Die Tiere fressen überraschenderweise Buchenrinde - das ist ein Problem für lokale Bauern, die Buchenholz verkaufen. Sie fürchten finanzielle Einbußen, wenn die Tiere die Bäume beschädigen. Die Schäden, die neun Tiere angerichtet hätten, summierten sich auf 6000 bis 7000 Euro, zitiert die New York Times den Waldbesitzer Hermann Vogt. "Wenn es hier bald 24 Wisente gibt und sie sich neun Wochen auf meinem Grund und Boden aufhalten, dann habe ich ein sehr großes Problem."

Bäume beschädigt von europäischen Bisons
Die Wisente im Rothaargebirge beschädigen Bäume und ziehen damit den Ärger der Besitzer auf sichBild: Tonggie Siregar

Die Frage, wo sich die Wisente frei bewegen dürfen, beschäftigt nun ein Gericht. Ein endgültiges Urteil steht noch aus. Wenn die Entscheidung lautet, dass die Wisente zusammenpfercht werden müssten, sei das Projekt gestorben, sagt Projekt-Koordinator Röhl. "Wir werden sie nicht wieder einsperren. Besonders die in Freiheit geborenen Tiere - sie würden in Panik verfallen." Stattdessen würde er die Wisente anderen Projekten anbieten. "Falls niemand interessiert ist, müssen wir sie töten."

Um das zu vermeiden, bieten die Projekt-Koordinatoren den betroffenen Bauern Entschädigungszahlungen an. "Wir sehen uns den Schaden an. Wenn mehr als 50 Prozent der Rinde abgefressen wurde, dann bekommen sie von uns die Summe, die sie sonst durch den Verkauf erhalten hätten", so Bürgermeister Fuhrmann. Außerdem fütterten die Projektmitarbeiter die Tiere im Winter, um Schaden an den Bäumen zu minimieren.

Warum auswildern?

Das Wisent-Projekt im Rothaargebirge ist Teil einer größeren Entwicklung. Viele andere versuchen ebenfalls, europäische Landschaften wieder in Wildnis zu verwandeln.

Das Verschwinden von Raubtieren wie Wölfe oder Bären aus dem Ökosystem habe natürliche Ausleseprozesse beeinflusst, sagt Yvonne Kemp, Koordinatorin des European Rewilding Networks. "Für uns bedeutet Auswilderung, dass die Natur wieder ihren Lauf nehmen kann."

Johannes Röhl
Johannes Röhl, Koordinator des Wisent-ProjektsBild: Tonggie Siregar

Laut Diana Pretzell, Leiterin Naturschutz Deutschland bei der Umweltschutzorganisation WWF, haben Wisente das Ökosystem auf eine positive Art und Weise beeinflusst. "Das Ökosystem wächst und ist vielfältiger durch die Wisente", sagte Pretzell der DW. "Es gibt viele Tiere, wie zum Beispiel Fledermäuse und Käfer, die die Wisente zum Überleben brauchen." Für Käfer sei der Dung der Tiere gut; Fledermäuse wiederum ernährten sich von Käfern.

Allerdings stimmen nicht alle Wissenschaftler zu, dass Auswilderung ausschließlich positiv ist. Eine kürzlich in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlichte Studie warnt vor potenziellen unbekannten negativen Konsequenzen - nicht nur für das Ökosystem, sondern auch für den Kontakt zwischen Tier und Mensch.