Freiheit für die Bücher
21. Mai 2003Astrud Schmidt steckt Bücher in Kanonenrohre, versenkt sie in Brunnen oder legt sie auf Parkbänke. Die 35 Jahre alte Erfurterin ist Buchauswilderin. Statt die gelesenen Werke ins Bücherregal zu stellen – schenkt sie ihnen die Freiheit. Das so genannte Book-Crossing hat weltweit schon mehr als 115.000 Buchliebhaber erfasst – in Deutschland sollen es bisher knapp 3000 sein.
Mit Absicht "verlorene" Bücher
Grinsend läuft Astrud Schmidt zu einem Brunnen in der Erfurter Innenstadt. Sie öffnet ihre Umhängetasche, kramt einen Gefrierbeutel heraus, in dem sie das Buch "Schiffbruch" von Paul Gallico eingeschweißt hat. "Hoffentlich holt es nicht vorher die Stadtreinigung raus, sagt sie und lässt das Buch ins Wasser gleiten. 36 Büchern hat sie seit Oktober 2002 die Freiheit geschenkt. Damit die Leute erkennen, dass Astrud Schmidt ihre Bücher mit Absicht verliert, steckt sie Lesezeichen in die Bücher oder beklebt sie: "Nimm mich mit, lies mich und lass mich wieder frei! Achtung. Kein Fall fürs Fundbüro."
Besonders bedrohte Bücherart: Krimis
Frieda Stratmann, Philosophiestudentin in Erfurt, wildert seit einem Vierteljahr Bücher aus. "Vor allem Krimis lese ich nur einmal. Bevor ich sie wegschmeiße, soll sie jemand anderes lesen", sagt die 28-Jährige. In der Unibibliothek oder in Kneipen hat sie bereits Bücher liegen lassen. "Viele Leute reagieren skeptisch, wenn sie ein Buch finden. Manche denken, es ist ein Witz."
Am Anfang war Amerika
Das Prinzip des Book-Crossing ist einfach - und stammt aus Amerika. Ron Hornbaker kam im März 2001 auf die Idee und bastelte die Internetseite zum Thema. Dort bekommen Leseratten Nummern für ihre Bücher. Mit diesen registrieren sie ihre Bücher vor der Auswilderung. "Findet jemand das Buch und gibt die Nummer auf der Homepage ein, kann man nachvollziehen, wann und wo das Buch gefunden wurde", sagt Schmidt. So wandern die Bücher um die Welt.
Gefangene Bücher
Bisher sind bereits 360.000 Bücher registriert worden. In Italien hat das Buch "Auf Schritt und Tritt ... Das geheime Tagebuch eines wahren Gauners" von Michele Pernozzoli mittlerweile 25 Mal den Besitzer gewechselt - der bislang letzte Leser hat es in Boston liegen lassen. Ein Buch gilt als "gefangen", wenn der Finder auf der Homepage einen Eintrag vornimmt.
Bücher jagen
Die Studentin Christa Manthei aus Jena ist von dem Prinzip der Buchauswilderei begeistert, hat allerdings ein Problem: "In Jena gibt es bisher noch keinen anderen Book-Crosser." Sie hat noch nie ein Buch gefunden. Um Abhilfe zu schaffen, können Book-Crosser auch Bücher jagen. "Dafür erkundigt man sich auf Ron Hornbakers Website, wo jemand ein Buch ausgewildert hat", sagt Astrud Schmidt. Vor allem im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen, aber auch in Berlin oder München gibt es für Buchauswilderer gute Chancen, fündig zu werden. (pf)