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Frauenhandel in Jugoslawien

2. August 2002

– DW-Interview mit einer Aktivistin der Nicht-Regierungsorganisation ASTRA

https://p.dw.com/p/2Wni

Köln, 2.8.2002, DW-radio / Serbisch

Die Nicht-Regierungsorganisation ASTRA (Anti-Sex Trafficking Action – MD) in Belgrad bekämpft bereits seit mehreren Jahren den Frauenhandel in Jugoslawien. Wenn dieses Thema aufgeworfen wird, wird auch immer darauf hingewiesen, dass es schwierig sei, an genaue Zahlenangaben zu gelangen. Eine Aktivistin dieser Organisation, Sandra Ljubinkovic, erklärte im Gespräch für DW-radio, warum es schwierig ist, beim Frauenhandel in Jugoslawien genaue Zahlen zu ermitteln.

Antwort:

Weil bei uns bislang kein Gesetz existiert, das Menschenhandel sanktioniert. Das heißt, in unserer Gesetzgebung existieren genau genommen keine gesetzlichen Bestimmungen darüber, und daher können wir auch keine genauen Zahlen erhalten. Es gibt allerdings Schätzungen verschiedener internationaler Organisationen, die jedoch irrelevant sind, denn die Dunkelziffer ist viel höher. Es wissen auch alle, dass sie höher ist. Genaue Daten können aber irgendwie nicht genau ermittelt werden, da mit dem Frauenhandel auch Waffen- und Drogenhandel sowie illegale Migration einhergehen.... Auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Phänomene handelt, die unter anderem als Folgen der Armut, der Globalisierung und der Militarisierung anzusehen sind, sind es auch die Gründe dafür, warum es keine konkreten Zahlen gibt.

Frage:

Existieren nicht trotzdem präzisere Angaben über die Zahl der Opfer von Frauen- und Menschenhandel in Jugoslawien?

Antwort:

Nein, es existieren keine. Wir werden allerdings Ende diesen Jahres erste Daten darüber erhalten. Die Daten, an die wir zurzeit gelangen können, erhalten wir aus dem Innenministerium, was bedeutet, sehr wenige über verurteilte Menschenhändler. In den übrigen Fällen wurden Strafanzeigen gegen Frauen erstattet, das heißt, sie wurden auch als Kriminelle behandelt, da sich diese Frauen illegal im Land aufhielten und keine Ausweisdokumente vorweisen konnten. Die offizielle Zahl für das Jahr 2001 liegt bei über 400 Anzeigen.

Frage:

Über Jugoslawien wird im Allgemeinen gesagt, dass es ein Transitland für den Frauenhandel sei. Unsere Gesprächspartnerin bestätigte dies, fügte jedoch gleichzeitig hinzu:

Antwort:

Jugoslawien ist zwar in erster Linie ein Transitland, es ist aber auch gleichzeitig sowohl Ziel- als auch Herkunftsland. Was bedeutet, dass wir vor einem dreifachen Problem stehen. Es ist zwar vornehmlich ein Transitland, wir haben jedoch bei unserer Kampagne ebenfalls erkennen können, dass unsere jungen Frauen falsche Vorstellungen vom reichen Westen haben und dorthin möchten. Sie werden einfach von der Phantasie geleitet, dass es irgendwo besser ist und dass sie irgendwo in kurzer Zeit viel Geld verdienen können. Dadurch gehören sie dann auch zur empfänglichsten Gruppe.

Bei ASTRA herrscht die Ansicht vor, dass die Polizei vorrangig Unterstützung bei der Ausbildung sowie im technischen Bereich benötigt, um diese Erscheinung erfolgreich zu bekämpfen.

Frage

: Wie bewerten Sie die Aktivitäten der offiziellen Staatsorgane bei der Bekämpfung des Frauenhandels, wenn Sie sämtliche Schwierigkeiten und ihre mangelnde Ausrüstung in Betracht ziehen?

Antwort:

Hierbei ist ausgenommen wichtig, dass im Jahre 2001 ein jugoslawisches Team zur Bekämpfung des Menschenhandels gegründet wurde. Das heißt, es besteht ein jugoslawische Team, das zum einen auf Bundesebene und zum anderen auf serbischer Republikebene angesiedelt ist, mit nationalen Koordinatoren auf Bundes- und auf Republikebene. Es ist dabei bedeutend, dass darin alle relevanten Ministerien vom Bildungs-, Innen- und Justizministerium bis hin zu Nicht-Regierungs- und internationalen Organisationen eingebunden sind. Ich glaube, dies ist ein großer Fortschritt. Denn wir können nun endlich sagen, worin unsere Probleme in der Zusammenarbeit mit den Institutionen bestehen, und sie können uns dies nun auch mitteilen. Dies ist alles im Interesse der Frauen, die Opfer von Frauenhandel sind. Auch wenn der Polizei der Frauenhändler manchmal wichtiger ist und uns die Frauen und ihre psychische und physische Genesung, lernen wir noch. Dabei besteht meiner Meinung nach das größte Problem im fehlenden Vertrauen. Genauer gesagt, wie kann das Vertrauen in Institutionen wie die Polizei, die Gerichte und Zentren für Sozialarbeit wiederhergestellt werden, wenn wir wissen, wie sie in den letzten Jahren gearbeitet haben.

Die ASTRA-Aktivistin wies ferner darauf hin, dass es in Serbien lediglich ein Aufnahmezentrum für Frauen gibt, die Opfer von Menschenhandel waren, und zwar in Belgrad. Frau Ljubinkovic betonte aber, dass es durchaus möglich sei, Frauen zu helfen, die dem Frauenhandel zum Opfer gefallen seien.

Antwort: Wir haben ein SOS-Telefon eingerichtet. Da melden sich vornehmlich die Eltern und Freunde von Opfern des Frauenhandels. Das heißt, die jungen Frauen können sich wegen der Bedingungen, unter denen sie leben, niemals bei ihnen melden. So haben sie die Möglichkeit, sich mit dem SOS-Telefon von ASTRA in Verbindung zu setzen. Sie können aber auch Anzeige bei der Polizei erstatten. Dahinter steckt also ein Verfahren, bei dem kein Schritt übersprungen werden kann. Wenn es sich um internationalen Menschenhandel dreht, beziehungsweise wenn eine unserer jungen Frauen irgendwo in Italien gelandet ist, dann wird die Angelegenheit von Interpol bearbeitet. Zunächst müssen jedoch die Eltern bei der Polizei Anzeige erstatten. Wenn die Eltern aber kein Vertrauen in die Polizei haben, sich unsicher fühlen oder bereits einmal von Polizeibeamten abgewiesen worden sind oder Polizisten grob reagiert haben, können sie sich in diesem Falle bei uns melden. Sie können uns dann dazu bevollmächtigen, Informationen weiterzuleiten, aufgrund derer weiter verfahren werden kann. (Interview: Ivica Petrovic) (md)