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Franzosen demonstrieren gegen Sarkozy

29. Januar 2009

Präsident Sarkozy steht massiv in der Kritik: Millionen Franzosen gingen auf die Straße. Für die Gewerkschaften die größte Protestkundgebung seit 20 Jahren. Doch die Angaben über Teilnehmerzahlen wiedersprechen sich.

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Massendemonstration in Paris
Allein in Paris kritisierten tausende Franzosen ihren Präsidenten Sarkozy wegen seines Handelns in der WirtschaftskriseBild: AP

Wie viele Franzosen tatsächlich gegen ihren Präsidenten auf die Straße gingen, ist unklar: Von mehr als 2,5 Millionen sprach die Gewerkschaft CGT; allein 300.000 Menschen hätten sich in der Hauptstadt Paris beteiligt. Die dortige Polizeipräfektur sprach dagegen von 65.000 Teilnehmern.

Fest steht: In etwa 200 Städten des Landes, darunter Marseille, Lyon, Toulouse, Bordeaux, Rennes und Nantes, fanden am Donnerstag (29.01.2009) Protestmärsche und Streiks gegen den Kurs von Präsident Nicolas Sarkozy in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise statt.

Breite Streikfront

Betroffen von den Streiks waren viele öffentliche Einrichtungen, Schulen, Bahn und Flughäfen. Beim Telekommunikationskonzern France Télécom, bei der Post und beim Stromriesen EDF streikte etwa jeder vierte Beschäftigte. Etliche staatliche Museen blieben geschlossen, das Rundfunk-Programm war gestört.

Kundgebung in Marseille
In Marseille nahmen nach Gewerkschaftsangaben rund 24.000 Menschen an den Protesten teilBild: AP

Am Pariser Großflughafen Charles de Gaulle wurde jeder achte Flug gestrichen, in der Innenstadt fiele jede vierte Bahn aus. Etwa ein Drittel der Verbindungen mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV entfiel. Die Folgen des Streiks im Verkehrswesen waren nicht ganz so schlimm, da unter Sarkozy eine gesetzliche Mindestversorgung im Öffentlichen Dienst eingeführt wurde. Außerdem hatten sich viele Arbeitnehmer extra freigenommen - der Streik war lange vorher angekündigt.

Mit am stärksten war die Streikbeteiligung bei den Lehrern. An den Schulen sollen tausende Stellen gestrichen werden. An den Grundschulen legten laut Bildungsministerium fast die Hälfte der Lehrer und Angestellten die Arbeit nieder, an den weiterführenden Schulen gut jeder Fünfte.

"Schwarzer Donnerstag"

Französische Medien hatten der Regierung einen "schwarzen Donnerstag" vorhergesagt. Denn erstmals seit Beginn der Wirtschaftskrise hatten alle Arbeitnehmervertretungen gemeinsam zum Streik aufgerufen. Unterstützt wurden sie auch von der oppositionellen Sozialistischen Partei.

CGT-Chef Thibault, im Hintergrund ein Plakat
CGT-Chef Thibault forderte höhere GehälterBild: AP

Der Protest einte weite Teile der Gesellschaft. Viele empfinden das Konjunkturpaket der Regierung als ungerecht, weil es ihrer Ansicht nach zu sehr auf Banken und Industrie ausgerichtet ist. "Wir fordern einen zweiten Konjunkturplan, der diesmal auf die Kaufkraft zielt", sagte der Chef der Gewerkschaft CFDT, François Chérèque. Ähnlich äußerte sich der Chef der Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault. Er verlangte, dass die Regierung nach den milliardenschweren Rettungspaketen für die Banken auch die Einkommen aus Arbeit "neu bewerten" müsse.

Sozialistenchefin Martine Aubry heizte die Stimmung gegen Sarkozy noch an. Bei der Kundgebung in Paris sagte sie, "wir haben heute einen Präsidenten, der blind weitergeht, obwohl er uns - noch bevor die Finanzkrise begann - durch seine Politik in die Rezession geführt hat".

Volk sieht sich benachteiligt

Sozialistenchefin Aubry (Mitte), dahinter Demonstranten, die ein Plakat "Krise" hochhalten
Auch Sozialistenchefin Aubry beteiligte sich an den ProtestenBild: AP

Die "arbeitende Bevölkerung" sieht sich benachteiligt. "Uns Arbeitern", so der Renault-Mitarbeiter Pascal Guinet bei der Demonstration in Paris, "wird immer mehr aufgebürdet; und der große Teil des Kuchens geht an die obersten Etagen". Die Belegschaft werde verringert, die Angestellten würden unter Druck gesetzt. Rentnerin Martine Poilve warf der Regierung vor, dass die Kaufkraft immer weiter schwinde. "Außerdem ist das Gesundheitssystem zu teuer; als Rentner kann man sich nicht vernünftig behandeln lassen", schimpfte sie.

Ein Künstler in Marseille meinte: "Die Regierung will, dass wir uns wie Schafe behandeln lassen - nun heute rebellieren die Schafe". Ein 33-jähriger Fabrikarbeiter in Rennes sagte, Sarkozy gebe den Unternehmen "große Schecks", für die Arbeiter tue er nichts. "Wir hatten schon einmal eine Revolution in Frankreich. Wenn es nötig ist, wird es wieder eine geben".

Auch weite Teile der Presse sehen den Staatschef verantwortlich für die Krise und für den "Tag der Wut" wie die linksgerichtete Zeitung "Liberation" titelte. "Frankreich braucht in der Krise keinen brutalen Boss, der alle rasend macht, sondern einen politischen Führer, der die Bevölkerung beruhigt".

Sarkozy will kühlen Kopf bewahren

Und das versuchte der Gescholtene. Zunächst einmal reagierte Sarkozy nicht und ließ seinem Handelsminister mit einer direkten Reaktion den Vortritt. Erst am Abend ließ er dann eine Erklärung verbreiten. Darin bezeichnete er die Unsicherheit der Menschen angesichts der Wirtschaftskrise als "legitim". Gleichzeitig nahm er alle in die Pflicht: "Diese Krise erfordert von allen eine Verpflichtung, zuzuhören und miteinander zu reden, gleichzeitig aber auch entschieden zu handeln". In diesem Sinne werde er sich im Februar mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern zusammensetzen, um über die geplanten Reformen zu sprechen.

Vor einigen Tagen hatte Sarkozy bereits angekündigt, er wolle in der aktuellen Krise einen "kühlen Kopf" bewahren. Er nehme die Befürchtungen der Bevölkerung ernst. Die Entscheidungen würden aber nicht bei denjenigen liegen, "die am lautesten schreien". Immerhin: Sarkozy nahm die Befürchtungen so ernst, dass er am Donnerstag eine geplante Afrika-Reise absagte. (hy)

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