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Frankreichs Linke unter Schock

Gérard Foussier30. April 2002

Der Sieg von Jean-Marie Le Pen über seinen linken Gegner Lionel Jospin hat Frankreich und das Ausland empört. Die französischen Sozialisten befinden sich in einer tiefen Krise. Ein Kommentar von Gérard Foussier.

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Dass von allen Kandidaten um das höchste Amt in Frankreich nur die beiden Bestplatzierten in die Stichwahl gehen, haben die Wähler schon vorher gewusst. Alle Umfragen waren sich einig: Jacques Chirac und Lionel Jospin, der amtierende Staatspräsident und der amtierende Regierungschef, der Gaullist und der Sozialist – einer von beiden würde wohl für die nächsten fünf Jahre im Elysee-Palast sitzen. Am Abend des ersten Wahlgangs am 21. April kam die Ernüchterung: Jospin fehlten knapp 200.000 Stimmen, um an der Stichwahl teilnehmen zu können. Der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen hatte es auf leisen Sohlen geschafft, seine Wählerschaft besser zu mobiliseren.

Nun fühlen sich Sozialisten und Kommunisten, Grüne und Linksextreme – alles bisherige Chirac-Gegner – gezwungen, öffentlich ihre Bereitschaft kundzutun, Chirac zu wählen. Nicht aus plötzlicher Liebe zum Neo-Gaullisten, sondern um den rechtsextremen Bewerber zu verhindern. Ein schwerer Gang.

Das linke Lager hat Gewissensbisse: Viele Anhänger Jospins sind beim ersten Wahlgang zu Hause geblieben. Und viele, die dem sozialistischen Regierungschef nur einen Denkzettel verpassen wollten, haben sich für einen der sieben anderen Linkskandidaten entschieden und hiermit Jospin auf den dritten Platz versetzt. Diese Zersplitterung, die Jospin vorher noch als Zeichen eines pluralistischen Gedankenguts auf der linken Seite der französischen Parteienlandschaft gerühmt hatte, führte zu seiner bitteren Niederlage.

In demokratischen Ländern müssen die Abstimmungen der freien Wähler respektiert werden. Aber Frankreich wagt nun seit dem 21. April eine kritischere Analyse des Verhaltens der 5 Millionen Wähler, die der Demagogie von Le Pen verfallen sind. Und man kritisiert die unverantwortliche Haltung jener 3 Millionen Wähler, die mit einer an Dummheit grenzenden Naivität trotzkistischen Parteien ihre Stimmen gegeben haben, nur um Jospin zu ärgern. Nach dem Triumph von Le Pen aber sind alle Sozialisten Waisenkinder, die ihre Führungsspitze selber torpediert haben.

Zwar werden die linken Parteien die Parlamentswahlen im Juni besonders ernst nehmen, in der Hoffnung, eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu erreichen. Das aber wäre eine späte Erkenntnis. Die einzige Korrektur für das Fehlverhalten der linken Wähler im April muss bereits bei der Stichwahl erfolgen: in Form einer in der Tat für sie sehr schwierigen Entscheidung zugunsten des bisherigen Gegners Chirac. Viel zu leicht könnten sonst die bürgerlichen Parteien, im eher unwahrscheinlichen Fall eines Siegs Le Pens am 5. Mai, jahrelang den linken Wählern immer wieder vorwerfen, die Wahl eines Rechtsextremen an der Spitze des Staates ermöglicht zu haben.

Eines wissen auch die bisherigen Chirac-Gegner: Es geht nicht nur um den Gang zu den Urnen – jede abgegebene, aber ungültige Stimme wäre letzten Endes im Kampf um Prozente auch eine Stimme für Le Pen.