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Frankreich unter Schock

Gérard Foussier30. April 2002

Der erste Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen hat ein politisches Erdbeben ausgelöst. Der Kandidat der Rechtsextremen, Le Pen, tritt am 5. Mai zur Stichwahl gegen Präsident Chirac an. Gérard Foussier kommentiert.

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Frankreich hat gewählt. Wirklich? Die französischen Wähler, wenn sie überhaupt zu den Urnen gegangen sind, haben zunächst einmal protestiert. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs ist für das Image Frankreichs verheerend, vor allem im Ausland, wo man das französische Wahlrecht nicht immer ganz versteht.

Dass die Wähler am 5. Mai zwischen dem amtierenden Staatschef Jacques Chirac und dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen zu entscheiden haben, ist die große Überraschung des ersten Wahlgangs am Sonntag. Denn nur wenige hatten mit einer derart niederschmetternden Niederlage des sozialistischen Kandidaten und amtierenden Premierministers Lionel Jospin gerechnet.

Verheerend ist die wohl kaum realistische Perspektive, Le Pen könnte doch Staatspräsident werden. Auch führende Sozialisten und Grüne, Kommunisten und sonstige Gegner des Neogaullisten Chirac haben bereits erklärt, dass sie dem amtierenden Präsidenten ihre Stimme geben würden, damit Le Pen nicht an die Macht kommt. Aber das schmerzhafte Versagen der Meinungsforschungsinstitute hat die Franzosen doch reichlich verwirrt.

Verheerend ist nach diesem überraschenden Ergebnis auch der Zustand des linken Lagers : Drei trotzkistische Kandidaten haben zusammen mehr als 10% der Stimmen erhalten. Auch Kommunisten und Grüne konnten kein besonders gutes Ergebnis erzielen. Aber all diese Stimmen haben schließlich dem Sozialisten Lionel Jospin gefehlt.

Möglicherweise wird der amtierende Präsident unter solchen Umständen mit 80% der Stimmen wiedergewählt werden. Das wäre ein Rekord in der Fünften Republik. Aber diese künstliche Mehrheit löst die Probleme nicht. Und Eins vereint die demokratischen Parteien: Le Pen ist nicht die Lösung der Probleme.

Das politische Erdbeben vom Sonntag wird noch monatelang spürbar sein, denn bereits im Juni werden Parlamentswahlen stattfinden. Schon sprechen die niedergeschlagenen Sozialisten von einem dritten Wahlgang und hoffen, dass ihre Wähler durch den überraschenden Erfolg Le Pens aufgerüttelt werden.

Frankreich steht nun vor einem Dilemma: Einerseits muss es der Welt beweisen, dass das Land bei allen parteipolitischen Unterschieden weiterhin demokratische Werte verkörpert. Andererseits hat der kurze, aber langweilige Wahlkampf gezeigt, dass der Wähler der bisherigen Kohabitation zwischen einem bürgerlichen Präsidenten und einem linken Regierungschef eine Abfuhr erteilen wollte.

Es war aber nicht vorgesehen, dass Chirac mit den Stimmen der linken Parteien wiedergewählt werden könnte. Eine weitere Niederlage, diesmal bei den Parlamentswahlen, können sich die Sozialisten nicht leisten. Eine massive, emotionale Unterstützung der linken Kandidaten würde allerdings doch zu einer neuen Kohabitation führen.

Trotz des Erfolges von Le Pen ist die Gefahr eines faschistischen Frankreichs mehr als gering. Nur: Das Land steckt in einer tiefgreifenden politischen Krise. Und der französische Wähler - er bleibt unberechenbar.