1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Unser größtes Problem ist die Arbeitslosigkeit"

Doris Pundy
17. Mai 2017

Frankreichs Präsident Macron hat sein neues Kabinett vorgestellt. Das übernimmt ein schweres Erbe: zum Beispiel eine Arbeitslosenquote, die über dem europäischen Durchschnitt liegt. Doris Pundy aus Paris.

https://p.dw.com/p/2d2ds
Paris Wochenblatt Marianne Macron Cover
"Das Härteste kommt noch", titelt ein Pariser Wochenblatt nach der Amtsübernahme von Emmanuel Macron.Bild: DW/D. Pundy

Heute ist die Lage ruhig am Denkmal der französischen Revolution auf dem Place de la Republique. Die Statue ist traditioneller Ausgangspunkt für Proteste in Paris. Die Spuren der letzten großen Demonstration am 1. Mai sind weggewischt. Keine 300 Meter von hier entfernt, in einer kleinen Seitengasse, befindet sich das Büro von Claire Pauchet und Bernard Aznar. Sie kämpfen für die Rechte französischer Arbeitsloser und prekär Beschäftigter. Den Place de la Republique kennen sie gut. Bei den wochenlangen Demonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform von Ex-Präsidenten Francois Hollande waren beide dabei.

Schlechte Regierungsbilanz für Hollande

"Bei aller Objektivität, wir können wirklich nicht sagen, dass Hollande sich für die Rechte der Schwachen stark gemacht hat", sagt Aznar, Leiter des Mouvement National des Chomeurs et Precairs (MNCP), die nationale Bewegung für Arbeitslose und prekär Beschäftigte. Die Wände des kleinen Büroraums sind mit Fotos von Demonstrationen vollgehängt. Hollande sei ein sehr liberaler Präsident gewesen, sein ehemaliger Generalsekretär Emmanuel Macron hätte da seine Spuren hinterlassen. Die Aktivisten befürchten jetzt weitere liberale Reformen.

Paris Politikaktivisten Bernard Aznar Claire Pauchet
Aktivisten Bernard Aznar (links) und Claire Pauchet setzen sich für die Rechte Arbeitsloser ein.Bild: DW/D. Pundy

"Macron will Unternehmensgründungen fördern. Aber denken Sie doch nach, was er damit wirklich meint", sagt Claire Pauchet. "Das heißt, dass alle Selbstständige werden sollen. So wie die jungen Leute, die mit dem Fahrrad Essen ausliefern", so Pauchet. "Die sind alle nicht angestellt, haben keine soziale Sicherheit. Nichts!" Aznar und Pauchet fordern, dass die neue Regierung die Anliegen Arbeitsloser ernst nimmt und Alternativen bietet.

"Die Arbeitslosigkeit ist zusammen mit dem Handelsdefizit und den hohen Staatsschulden unser größtes Wirtschaftsproblem", erklärt der Pariser Ökonom Philippe Crevel. "Die ist bei uns höher als im europäischen Durchschnitt. Wir sind davon ähnlich betroffen wie Italien, Spanien oder Griechenland“, sagt Crevel. Fast zehn Prozent aller erwachsenen Franzosen sind ohne Job, bei den unter 25-jährigen sind es sogar knapp 25 Prozent.

Paris Elysee-Palast Pressefotografen
Frankreichs Presse wartet gespannt vor dem Elysee-Palast auf die ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten.Bild: DW/D. Pundy

Verlorene Zeit

"Seit 15 Jahren gibt es Versuche, die Situation am Arbeitsmarkt zu verbessern. Aber ein Präsident kommt nach dem nächsten", sagt der Experte und nichts ändere sich. Die Kosten für eine Arbeitskraft wären weiterhin zu hoch, die Arbeitszeitregelungen zu starr und Frankreichs Arbeitskräfte für den digitalen Wandel nicht gut genug ausgebildet. "Auf Emmanuel Macron lastet eine enorme Verantwortung. Jetzt muss sich wirklich etwas tun", sagt Philippe Crevel. Um die Arbeitslosigkeit in Frankreich nachhaltig zu senken, fordert der Ökonom ein Maßnahmenpaket: niedrigere Sozialabgaben, bessere Ausbildung, mehr Investitionen und mehr Kompetenz.

Volkswirt Crevel rechnet dem neuen Präsidenten Macron gute Chancen aus: "Er ist jung, energisch und gehört keiner der traditionellen Parteien Frankreichs an." Emmanuel Macron und seine neue politische Partei "La République en Marche" müssen sich im Juni Parlamentswahlen stellen. "Die Partei steht vor einer großen Herausforderung. Sie hat aktuell kein einziges Mandat, braucht aber eine absolute Mehrheit", sagt der Experte.

Paris Vincent Godebout SNC
Freiwilliger Patrick Vignaux (rechts) und der Leiter des Pariser Vereins SNC, Vincent Godebout.Bild: DW/D. Pundy

"Macrons fünf Jahre als Präsident werden nicht ausreichen, um in Frankreich alles zum Besseren zu wenden", sagt Patrick Vignaux. "Aber was zählt, ist, dass jetzt endlich Bewegung in die Sache kommt." Vignaux betreut seit über zehn Jahren als Freiwilliger Arbeitslose. Anfangs half er nur wenige Stunden pro Woche im Verein "Solidarites Nouvelles face au Chomage" (SNC) aus. Vor wenigen Monaten ließ er sich von seinem Arbeitgeber für ein Jahr freistellen, um sich in Vollzeit zu engagieren.

Widerstand gegen Reformen

"Francois Hollande hat versucht, die Situation am Arbeitsmarkt zu verbessern", so der Sozialarbeiter, "aber geschafft hat er es nicht." Die Arbeitslosigkeit sank unter Francois Hollande lediglich um 0,1 Prozent. Zwischenzeitlich kletterte sie sogar auf ein Rekordhoch von fast elf Prozent "Wir brauchen tiefgreifende Wirtschaftsreformen", fordert Vigaux, aber auch die Berufsausbildung müsse besser werden.

Frankreich Protest gegen Arbeitsreformgesetz in Paris
2016 protestierten am Place de la Republique in Paris wochenlang Demonstranten gegen Francois Hollandes Wirtschaftsreform.Bild: picture-alliance/dpa/I. Langsdon

Tausende demonstrierten 2016 in Paris und anderen französischen Großstädten gegen die Arbeitsmarktreform der Regierung Francois Hollandes. Der frühere Präsident wollte lockere Überstundenregeln, Tarifverträge überarbeiten und den Kündigungsschutz aufweichen. Nach monatelangen Protesten und Streiks verabschiedete Hollande das Gesetz per Präsidentendekret, um eine Abstimmung im Parlament zu vermeiden.

"Die Gewerkschaften bereiten sich schon auf den nächsten Kampf vor", schmunzelt der Ökonom Philippe Crevel. "Wir werden in den nächsten Monaten bestimmt noch viel von ihnen hören", ist er überzeugt. Die Ankündigung Emmanuel Macrons, noch in diesem Sommer eine erste Wirtschaftsreform ebenfalls per Dekret zu verabschieden, kommt bei den Aktivisten tatsächlich nicht gut an: "Wenn es unter Emmanuel Macron nötig wird, dann werden wir wieder aufmarschieren", sagt Claire Pauchet.