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Interview mit Frank Castorf

Hans Christoph von Bock30. Juli 2013

Der vielfach preisgekrönte Regisseur gilt als "Werkzertrümmerer", der klassische Werke gern stark verändert. Daher ist die Spannung im Vorfeld seiner "Ring"-Inszenierung groß.

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Theaterregisseur Frank Castorf (Archivfoto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Die Suche nach einem Regisseur für den  Jubiläums-"Ring" hat sehr lange gedauert. Es gab viele Kandidaten und viele Absagen. Warum haben Sie zugesagt?

Frank Castorf: Ich sage immer: Ich komme aus dem Osten, und da kauft man die Bananen, wenn es sie gibt.

Das heißt – so eine Chance konnten Sie sich nicht entgehen lassen?

Ganz so ist es nicht. Ich war ja noch nie in Bayreuth. Etwas Neues kennenzulernen ist doch immer etwas Besonderes. Und Bayreuth ist besonders interessant durch seine ganze Geschichte mit den vielen Gesellschaftssystemen, die das Haus überlebt und ideologisch begleitet hat. Alles andere gehört in die Rubrik "Eitelkeit" – und das bin ich schon sehr! Ich mag auch die Kürze und Dichte der Festspielzeit, in der man sich durch Arbeit fordern und überfordern kann: Hier sind 16 Stunden Musik in knapp zwei Monaten zu inszenieren. Man muss einen sehr langen Atem haben und eine gewisse Rücksichtslosigkeit seinen eigenen Befindlichkeiten und seinen An- und Absichten gegenüber an den Tag legen. Und das macht mir Spaß.

Sie sind bekannt dafür, kein Freund von linearen Inszenierungen zu sein. Stattdessen gelten Sie eher als jemand, der neue Blicke auf einen Stoff wirft. Beim "Ring" allerdings ist die Werktreue sozusagen oberstes Gesetz. Das passt eigentlich gar nicht zu Ihrer Arbeitsweise...

Richtig. Und das hat mich oft davon abgehalten, Oper zu inszenieren. Ich hatte sehr viele Opernangebote und habe die meisten abgesagt. Weil ich bei Oper eben nicht diese Freiheit habe, mich mit einer Handlung durch Raum und Zeit zu bewegen, wie es meiner Lust entspricht. Denn das ist für mich das Entscheidende, warum ich überhaupt etwas mache. Ansonsten wäre ich bei der deutschen Reichsbahn geblieben und hätte nur auf die Pünktlichkeit von Zügen achten müssen. Mich aber interessieren Umwege. Ich habe mit dem Dirigenten Kyrill Petrenko darüber gesprochen. Und er hat gesagt: "Ich würde sehr darum bitten, dass wir bei der Partitur, beim Libretto, wenn sie so wollen, bei der Werktreue bleiben." Das ist die eine Sache. Man kann aber auch gegenläufige Geschichten sehr diffizil erzählen, die vielleicht den Stoff genauer erklären könnten, ohne die Werktreue zu verletzen. Und das wollen wir hier versuchen. Es geht, wie Wagner sagte, auch um künstlerischen Terrorismus.

Bevor Sie sich Gedanken zu Ihrer "Ring"-Inszenierung gemacht haben, haben Sie sich die Bilder der Uraufführung 1876 angesehen?

Nein, nein, nein! Ich habe eine gesunde Ignoranz. Ja, und ich habe auch Angst, dass mich bestimmte Dinge beeinflussen könnten. Deshalb schaue ich mir auch nichts an. Mich haben andere Sachen vielmehr interessiert: Wie zeigen wir heute die Weltesche, was sind die Nornen, was ist das Schwert "Notung"? Wie kann man das heute darstellen - in einer Zeit, in der unsere Bilder vor allem durch die Medien geprägt werden.

Haben Ihnen Eva und Katharina Wagner szenisch völlig freie Hand gelassen? Oder haben sie Ihnen reingeredet?

Ich fühle mich hier schon manchmal an die DDR erinnert: Das ist ja hier fast wie ein sozialistisch geführtes Unternehmen, das sich ja vor allem dadurch ausgezeichnet hat, dass jeder, mit dem man zusammenarbeitet, ein potenzieller Feind ist. Und ein bisschen so ist es hier auch: Man wird erst einmal mit dem notwendigen Misstrauen beäugt. Da ich so etwas kenne, macht mich das nicht sonderlich kopfscheu. Deshalb fühle ich mich ganz wohl hier. Und die beiden Damen sind eigentlich sehr nette Damen…

Sie haben gesagt, Sie wollen den "Ring"nicht linear erzählen. Was würden Sie dem Zuschauer antworten, der bei dieser Inszenierung nach der Logik fragt?

Dass man durch Paradoxien - durch Nicht-Verständlichkeiten - aus denen etwas Neues, eine Erkenntnis oder tatsächlich auch eine andere Handlung entsteht, zu etwas kommt, von dem man dann vielleicht sagen kann: "Oh, das hätte ich aber nicht gedacht." Das macht etwas interessant, nämlich zu erfahren, wie und auf welchen Umwegen etwas entstanden ist.

Was wünschen Sie sich für die Premiere? Was wünschen Sie sich vom Publikum?

Jede Form von Übereinstimmung hat mich nie wirklich interessiert. Das Schlimmste ist immer, wenn die Freunde kommen und sagen: "Weißt du, Frank, ich war so gespannt auf den Abend - er ist, tja, so interessant!" Das ist für mich das Dümmste. Das Schlimmste ist die Zustimmung von Leuten, die wissen, der macht das so und so, das ist so wie immer und so ganz schön. Hier in Bayreuth ist tatsächlich ein völlig anderes Publikum mit ganz verschiedenen Menschen.

Erwarten Sie Widerspruch oder Ärger?

Na, ich hoffe doch, dass es ein bisschen so ist. Sonst wäre es ja nicht spannend.

Um die "Ring"-Inszenierung im Wagner-Jubiläumsjahr gab es schon im Vorfeld Schlagzeilen. Viele Regisseure waren im Gespräch, verpflichtet wurde Frank Castorf. Der 1951 in Ostberlin geborene Regisseur ist Intendant der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Castorf ist dafür bekannt, sich gern über Theaterkonventionen hinwegzusetzen. Nicht nur die Fachwelt ist auf seine Deutung von Wagners Vieropernzyklus "Der Ring des Nibelungen" gespannt. 

Das Gespräch führte Hans Christoph von Bock.