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"Für Abu Sayyaf zählt nur das Geld"

Thomas Latschan27. April 2016

Erstmals seit 15 Jahren hat die islamistische Terrorgruppe Abu Sayyaf auf den Philippinen wieder eine westliche Geisel ermordet. Extremismusforscher Joseph Franco sprach mit der DW über mögliche Beweggründe für die Tat.

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Mitglieder der Abu Sayyaf auf den Philippinen (Foto:dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Unterscheidet sich die Ermordung einer Geisel aus Kanada von früheren Entführungsfällen durch Abu Sayyaf?

Joseph Franco: Abu Sayyaf hat schon mehrfach Geiseln ermordet. Diese waren jedoch meist Filippinos, die sich das Lösegeld nicht leisten konnten. Die Tötung einer westlichen Geisel ist für die Gruppe jedoch sehr ungewöhnlich. Üblicherweise lässt Abu Sayyaf diese Geiseln am Leben, um ein möglichst hohes Lösegeld erpressen zu können. Eine westliche Geisel wurde zuletzt im Jahr 2001 getötet. Es handelte sich um den US-Amerikaner Guillermo Sobero, den die Terrorgruppe bezichtigte, für die CIA gearbeitet zu haben.

Eine wichtige Frage ist: Wie kam der frühere Bergbaumanager John Ridsdel ums Leben? Wirtschaftliche Motive zählen für Abu Sayyaf mehr als alles andere. Die Terrorgruppe hatte sich bei der Lösegeldforderung von umgerechnet rund 19 Millionen Euro auf 5,6 Millionen herunterhandeln lassen. Bislang gibt es kein Video von der Ermordung. Es ist durchaus möglich, dass Ridsdel erst nach seinem Tod enthauptet wurde. Er war 68 Jahre alt, und es gibt glaubhafte Berichte darüber, dass sein Gesundheitszustand nach Monaten im Dschungel bereits sehr schlecht war. Mit der kolportierten Enthauptung könnte Abu Sayyaf versucht haben, zusätzlichen Druck auf die Regierungen in Norwegen und Kanada auszuüben, das Lösegeld für die anderen noch lebenden Geiseln in ihren Händen nochmals in die Höhe zu treiben.

Abu Sayyaf wird oftmals als "islamistische" Gruppe beschrieben. Sie bekennt sich ideologisch zum sogenannten "Islamischen Staat". Versucht die Gruppe tatsächlich, so etwas wie ein "Kalifat" im Süden der Philippinen zu errichten?

Abu Sayyaf nennt sich islamistisch, aber die Ideologie spielt seit dem Tod ihres Gründers Abdurajak Janjalani im Jahr 1998 nur noch eine untergeordnete Rolle. Janjalanis Bruder versuchte, die Gruppe auf einen religiösen Hardlinerkurs zu trimmen, aber er starb 2006. Seitdem haben mit Ghalib Andang und Abu Sabaya zwei Männer das Ruder übernommen, denen es vor allem um Geld geht. Zudem stammt das Bekenntnis zum IS bislang nur von einer Splittergruppe der Abu Sayyaf auf der Insel Basilan. Die Entführer von Ridsdel und anderer westlicher Geiseln stammen jedoch aus der Provinz Sulu. Die Splittergruppe auf Basilan hat von den millionenschweren Lösegeldern bislang kaum etwas gesehen und hofft, dass der "IS" auf sie aufmerksam wird und sie finanziell unterstützt.

Joseph Franco Sicherheitsexperte aus Singapur (Foto: RSIS)
Sicherheitsexperte Joseph FrancoBild: RSIS

Generell ist Abu Sayyaf heute keine durch und durch strukturierte Organisation mehr, sondern eher eine "Marke", unter der sich verschiedene kriminelle Banden versammeln, weil sie sich davon eine Art "Aufwertung" versprechen. Überlegen Sie mal: Wem würden Sie mehr Lösegeld bezahlen? Einer lokalen, kriminellen Bande oder einer martialischen Terrorgruppe, die mit einer beunruhigenden schwarzen Fahne herumwedelt? Beim "Geschäftsmodell Entführung" spielt auch die Art des Auftretens eine große Rolle.

Wer sind die Mitglieder von Abu Sayyaf?

Meist kommen sie aus der verarmten Landbevölkerung. Viele sind einfache Bauern, die in kriminelle Machenschaften hineingezogen werden. Abgesehen davon, dass sie sich als "islamistisch" bezeichnen, sind sie eigentlich nichts anderes als organisierte Verbrecher. Einige der derzeitigen Anführer sind ehemalige Kleinkriminelle, andere wiederum sind frühere Kommandeure der muslimischen Separatistengruppe MNLF (Moro National Liberation Front), die aus Enttäuschung über ein Friedensabkommen mit der philippinischen Regierung im Jahr 1996 zu Abu Sayyaf gewechselt sind.

Im Süden der Philippinen war es zwischenzeitlich ruhiger geworden, doch seit kurzem flammen die alten Konflikte wieder auf. Die philippinische Armee verschärft ihr Vorgehen gegen Aufständische in der Provinz Mindanao. Was bedeutet das für zukünftige Aktionen der Abu Sayyaf?

Abu Sayyaf wird vor allem versuchen, den derzeit laufenden Wahlkampf auf den Philippinen dazu zu nutzen, wieder verstärkt auf sich aufmerksam zu machen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die einzelnen lokalen Splittergruppen sich zusammenfinden, um eine gemeinsame größere Aktion gegen die Armee zu starten. Sie werden wohl kaum zu ihrer Politik der 1990er Jahre zurückkehren, als sie die Regierung in Manila mit Bombenanschlägen in verschiedenen Städten herausforderten. Denn das wäre vor allem schlecht für ihr Kerngeschäft. Und das ist immer noch die "Entführungsindustrie".

Philippinische Soldaten in Militärlastwagen in Patikol-Stadt (Foto: dpa)
Seit einiger Zeit verschärft die philippinische Armee ihr Vorgehen gegen Aufständische im Süden des LandesBild: picture alliance/dpa/B. Hajan

Joseph Franco ist Extremismusforscher an der S. Raajaratnam School of International Studies (RSIS) in Singapur.