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Fragwürdiger Vorstoß

Rainer Sollich3. Dezember 2003

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich im Rahmen seiner China-Reise für eine Aufhebung des europäischen Waffenembargos gegen die Volksrepublik ausgesprochen. Rainer Sollich kommentiert.

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Über Gerhard Schröders Engagement in Sachen China kann sich zumindest die deutsche Wirtschaft nicht beschweren. Unermüdlich bemüht sich der Bundeskanzler bei seiner China-Reise darum, neue Türen aufzustoßen und die wirtschaftliche Kooperation beider Länder voranzutreiben. Und vor allem: Er geht dabei sehr geschickt vor und präsentiert sich seinen chinesischen Gesprächspartnern als charismatischer Pragmatiker mit strategischer Weitsicht. Solche Macher-Typen mag man in Chinas Regierungskreisen - vor allem dann, wenn sie überwiegend angenehme Botschaften zu überbringen haben.

Klar ist deshalb: Die deutschen Unternehmer werden dem Kanzler dankbar für sein Engagement in Sachen China sein, und die deutsche Bevölkerung vermutlich auch: Denn angesichts der lahmenden Wirtschaft in Deutschland kommt derzeit alles gut an, was wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Und die Volksrepublik China mit ihren 1,3 Milliarden Bürgern eignet sich natürlich besonders ideal als Projektionsfläche für hochfliegende Markteroberungs-Phantasien.

China modernisiert sich

Schröder schießt aber über das Ziel hinaus, wenn er seinen chinesischen Partner zusagt, sich innerhalb der EU für eine Aufhebung des europäischen Waffenembargos gegen Peking einzusetzen. Natürlich: China ist heute ein anderes Land als 1989 bei der gewaltsamen Niederschlagung der Studentenproteste - da hat der Kanzler schon Recht. Das Land modernisiert sich ständig, und die Menschen profitieren heute im Alltag von Freiheiten, die vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wären. Dennoch: Ein kurzer Blick in die Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hätte Schröder darüber belehren können, dass Peking im sensiblen Bereich der Bürgerrechte bisher trotzdem keine wesentlichen Fortschritte erzielt hat. Es gibt nach wie vor keine politische Meinungsfreiheit in China. Es gibt immer wieder politisch motivierte Verhaftungen, in jüngster Zeit vor allem von Internet-Dissidenten. Und es gibt auch immer noch die Todesstrafe. Allein im vergangenen Jahr ist sie über 1000-mal verhängt worden.

Schröders Vorstoß

Schröders Vorstoß für eine Aufhebung des Waffenembargos ist auch in einer weiteren Hinsicht fragwürdig: Die Volksrepublik betrachtet Taiwan nach wie vor als abtrünnige Provinz und droht damit, eine Unabhängigkeitserklärung der Insel mit Waffengewalt zu beantworten. Es ist daher erfreulich, dass Schröder weiterhin keine Waffen an Taiwan liefern will, wie er in China jetzt versicherte. Aber warum dann um Himmels willen an Peking?! Es ist nicht einzusehen, warum ausgerechnet europäische Waffen dafür herhalten sollten, Chinas militärische Drohungen gegen Taiwan glaubwürdig zu untermauern.

Wie zur Rechtfertigung erklärte Schröder, auch die Deutschen wüssten, was es bedeute, in einem geteilten Land zu leben. Da muss er irgendetwas gründlich missverstanden haben. Ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Situation nämlich ist: Taiwan ist heute weitaus demokratischer als das chinesische Festland. Und, ebenfalls nicht ganz unbedeutend: Die Bundesrepublik Deutschland hat niemals versucht, die Wiedervereinigung mit Waffengewalt zu erzwingen.