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Foschepoth: "Die NSA überwacht mit Erlaubnis"

Petra Lambeck 26. Juli 2013

Die Deutschen werden seit Jahrzehnten von den USA überwacht – mit vollem Wissen der Politiker, sagt der Historiker Josef Foschepoth im DW-Interview. Grundlage sind geheime Abkommen aus der Besatzungszeit.

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Der Historiker Josef Foschepoth (Foto: Christoph Breithaupt)
Historiker Josef FoschepothBild: Christoph Breithaupt

Deutsche Welle: Herr Foschepoth, der NSA-Skandal schlägt in Deutschland nach wie vor hohe Wellen. Nun sagen Sie als Historiker, dass es eine solche Überwachung seit den Anfängen der Bundesrepublik schon immer gegeben hat. Haben die Enthüllungen von Edward Snowden Sie überhaupt überrascht?

Josef Foschepoth: Nein, nicht wirklich. Ich war überrascht über die ersten Reaktionen, die es gab – vor allen Dingen von politischer Seite. Da sah es ja so aus, als sei das zum ersten Mal passiert, als sei es etwas sehr Schlimmes und Einmaliges. Und das ist ja nicht der Fall. Aufgrund meiner eigenen Forschungen weiß ich, dass das unzählige Male schon so oder ähnlich in der sechzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland passiert ist.

Wie erklären Sie sich dann die doch eher verhaltene Reaktion der Bundesregierung?

Nun ja, solche Affären sind ja immer sehr unangenehm, weil sie etwas ans Tageslicht bringen, was bislang im Verborgenen funktioniert hat. Dieses Funktionieren will man nicht stören und deshalb spielt man es runter. Das geht aber in dem Fall nicht mehr, weil es sich hier um eine sehr schwere und intensive Überwachung handelt. Und vor allem: Es handelt sich dabei um einen Staat, mit dem wir eigentlich befreundet sind.

Nun finden diese Überwachungsvorgänge, wie Sie sagen, schon seit vielen Jahrzehnten statt, im Grunde seit Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949. Welche Rechte hatten die Besatzungsmächte – unter anderem eben die Amerikaner – zu dem Zeitpunkt?

Wir müssen uns klar machen, dass damals die Siegermächte nach Deutschland kamen, um dieses Land zu besetzen. Sie wollten dafür sorgen, dass von Deutschland nicht noch einmal eine solche Gefahr ausgeht, wie das in der Zeit der NS-Diktatur der Fall war. Kurz nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland aber kam ein weiterer Konflikt mit der Sowjetunion hinzu – der kalte Krieg brach aus. Es gab also einen Doppelkonflikt, der eine neue Strategie der USA verlangte, die daraufhin die Politik der doppelten Eindämmung entwickelten: Eindämmen der Sowjetunion auf der einen Seite, aber auch Eindämmung Deutschlands. Und ein wesentliches Instrument dieser Politik war die Überwachung.

Im Jahre 1955 trat aber doch der Deutschlandvertrag in Kraft, demzufolge die Bundesrepublik die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten erhalten sollte, so hieß es damals. Was bedeutete das für die Überwachungsstrategie der Amerikaner?

Diese Formulierungen sind natürlich immer sehr schön und vor allen Dingen für die Öffentlichkeit gedacht. Die Deutschen hatten damals – zehn Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges – das grundlegende Bedürfnis, wieder ein souveräner Staat zu werden. Das war aber überhaupt nicht der Fall. Denn in den Verträgen von 1955 – es handelt sich da um ein ganzes Konvolut von Verträgen – wurden durch geheime Zusatzvereinbarungen wesentliche Rechte aus der Besatzungszeit weiterhin den alliierten Westmächten vorbehalten. Unter anderem eben auch die Überwachung des Telefon- und Postverkehrs.

Welche Motivation steckte denn von deutscher Seite dahinter?

Die Amerikaner haben damals ganz massiven Druck gemacht. Sie wollten dieses geostrategisch wichtige Territorium für ihre Überwachungsmaßnahmen natürlich nicht aufgeben. Die deutschen Politiker hatten dagegen das Interesse, sagen zu können, wir sind wieder ein bisschen souveräner geworden. Man wollte die aufwachende nationale Seele der Deutschen ein bisschen streicheln. Doch was man nicht sagte, war: Wir mussten das Gleiche, was wir bislang aufgrund des Besatzungsrechts hingenommen haben, den Siegermächten auch für die Zukunft durch völkerrechtliche Verträge und  geheime Zusatzvereinbarungen zusichern. Und diese Vereinbarungen sind bis heute gültig und bindend für jede Bundesregierung."

Wie konnten diese geheimen Zusatzvereinbarungen denn die Wiedervereinigung überstehen, die ja eigentlich für den endgültigen Abschluss der Besatzungszeit steht?

Die Vereinbarungen waren ja geheim. Und wenn man erst einmal da ist – das ist ja so bei großen Mächten – dann ist das erst mal so. Die größten Bastionen der amerikanischen Truppen in Europa waren in Deutschland, weil sie hier eben großzügige Sonderrechte hatten. Es war so ein kleines Amerika, was sie sich hier aufgebaut haben, wo die Bundesregierung auch nicht hineinregieren konnte. Und diesen Freiraum, den wollte man sich natürlich nicht nehmen lassen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl hatte seinerseits natürlich ein eminent großes Interesse daran, so schnell wie möglich die Wiedervereinigung unter Dach und Fach zu bringen. Und was macht man dann? Man sagt: Na gut, dieses Thema ist noch ein bisschen schwierig und strittig – lassen wir das erst mal. Und so wurde über die Vorbehaltsrechte nicht weiter verhandelt. Deshalb sind diese Zusatzvereinbarungen weiter in Kraft. Und trotzdem nannte man das neue Deutschland dann einen nach innen und außen souveränen Staat.

Das ist ja auch heute noch so: Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, Deutschland sei kein Überwachungsstaat. Sie hingegen sagen, Deutschland sei das am stärksten überwachte Land in Europa…

Der Begriff "Überwachungsstaat" ist sicherlich ein bisschen polemisch. Aber ich will nur erklären: Der erste Sündenfall geschah bereits 1955, als der damalige Konrad Adenauer bei den Verhandlungen zum Deutschlandvertrag einem Vorbehaltsrecht der Alliierten zugestimmt hat, was an sich schon ein Verfassungsbruch war. Die Anerkennung dieses Vorbehaltsrechts durch den Bundeskanzler bedeutete, dass es ein Zurück zur Unverletzlichkeit des Post- und Telefongeheimnisses, wie es im Grundgesetz stand, nicht mehr geben würde. So ist ein großer deutsch-alliierter nachrichtendienstlicher Komplex entstanden.

Das ist ja insofern interessant, als dass die Deutschen bekannt dafür sind, dass ihre privaten Daten ihnen besonders heilig sind und sie großen Wert auf Datenschutz legen.

In den früheren Jahrzehnten galt das sogar noch mehr als heute. Deshalb hat man das ja auch verheimlicht.

Was muss und kann denn Ihrer Meinung nach jetzt geschehen?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine ist die: Wir machen nichts. Dann  wiederholt sich alles, wie es in der Vergangenheit gelaufen ist. Das heißt, irgendwann erlahmt das öffentliche Interesse. Eventuell gibt es noch einen kleinen Ausschuss, der legt einen Bericht vor und das war’s dann. Das wäre die schlimmste Variante. Die zweite Möglichkeit, worauf ich hoffe, ist: Der öffentliche Druck bleibt so stark, dass die Politik nach der Bundestagswahl handeln muss. Dann müssen alle diesbezüglichen Gesetze, Verordnungen und geheimen Vereinbarungen auf den Prüfstand: Wie groß war der Druck der Alliierten? Wie stark haben die Amerikaner auf die innere Entwicklung der Bundesrepublik eingewirkt? Welche Konsequenzen ergaben und ergeben sich daraus für die Frage der Rechtsstaatlichkeit und der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland? Darüber muss es eine öffentliche Debatte geben. Der oberste Wert unserer Verfassung sind die Grundrechte und nicht das, was die Geheimdienste immer wieder als "Sicherheit" deklarieren.

Prof. Dr. Josef Foschepoth ist Historiker an der Universität Freiburg und Autor des Buches "Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik" (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012) Darin zeigt er, dass es auch in der oft als vorbildlich geltenden Bonner Republik Überwachungsmechanismen gab, von denen die Bevölkerung nichts ahnte – basierend auf geheimen Abmachungen aus der Besatzungszeit, die bis heute gültig sind.