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Energieprioritäten nach Kassenlage

23. August 2012

Die Energiewende bedarf kluger Köpfe, neuer Ideen und einer soliden Finanzierung. Um die Konsequenzen für die Energieforschung ist ein Jahr nach Fukushima ein Streit um die richtige Richtung entbrannt.

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Anti-Atomkraft-Demonstration im Mai 2011 in Essen Foto: Henning Kaiser
Bild: picture alliance/dpa

Für die Bundesregierung passt die Energiewende auf ein Blatt Papier. Im amtlichen Mitteilungsblatt war am 6. September vergangenen Jahres auf einer Seite zusammengefasst, was die Energieforschung der nächsten Jahre prägen soll. Das 6. Energieforschungsprogramm war damals in Kraft getreten, nicht zuletzt als Reaktion auf den von der deutschen Politik beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie. Rund 3,5 Milliarden Euro sollen in dem Forschungsprogramm der Regierung ausgegeben werden, damit von 2011 bis 2014 neben dem Anfang vom Ende der Atomenergie auch der Einstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien gelingt.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) Foto: Britta Pedersen
Bundesumweltminister Röttgen, Bundeswirtschaftsminister RöslerBild: picture alliance / dpa

Energiewende in den Fördertöpfen?

Für Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ist klar, dass sich die öffentlich geförderte Energieforschung in Zukunft konzentrieren muss: auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) verkündete vollmundig, mit den neuen Forschungsschwerpunkten leiste die Regierung "einen wichtigen Beitrag zur Beschleunigung der Energiewende in Deutschland". Stolz verwies er darauf, dass jetzt satte 75 Prozent mehr Geld für Energieforschung im Topf seien als in der vierjährigen Förderperiode zuvor.

Ein Jahr nach der energiepolitischen Zäsur ist es Zeit für eine erste Bilanz. Die falle ernüchternd aus, sagt Professor Eicke Weber. "Was uns in der Energieforschung immer wieder frustriert", sagt der Sprecher des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien und Leiter des Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg, "ist vor allem, dass im Augenblick genauso viel für die Forschung an Spaltungsreaktoren, Kernsicherheitsforschung und Kernfusionsforschung ausgegeben wird wie für die erneuerbaren Energien". Trotz medialer Lippenbekenntnisse vieler Politiker schlage sich der Vorrang der Erneuerbaren nicht bei der Forschungsförderung nieder. 300 Millionen Euro auf der Kernforschungsseite stünden 300 Millionen Euro jährlicher Förderung bei den Erneuerbaren gegenüber, sagt Weber. Sein Fazit: "Eine Verschiebung der Prioritäten können wir noch nicht feststellen."

Professor Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme in Freiburg (ISE). Quelle: ISE
Professor Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme in FreiburgBild: ISE

Wie viel Nuklearforschung brauchen wir?

Eine Einschätzung, die Joachim Knebel teilt. Auch er sieht bei der öffentlichen Forschungsförderung keine Abkehr von der Kernenergie. Worüber der Wissenschaftliche Leiter und Kernreaktor-Experte vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) heil froh ist. Schließlich werden derzeit noch 20 der insgesamt 80 europäischen Forschungsprojekte im Bereich der Kernenergie von Karlsruhe aus koordiniert. Doch mit dem Fortschreiten der deutschen Energiewende sei diese Erfolgsgeschichte der deutschen Nuklearforschung in Gefahr, sagt Knebel: "Der Forscherdrang könnte dadurch behindert werden, dass die uns heute zur Verfügung stehenden Geldmittel geringer werden." Noch sei davon glücklicherweise wenig zu spüren, sagt Knebel. Über 1000 Studenten sind aktuell an deutschen Hochschulen dabei, Kerntechnik zu studieren. Und noch sei der weltweite Ruf der deutschen Ausbildung exzellent. "Allerdings ist den Studenten eindeutig klar, dass ihr Arbeitsplatz langfristig wahrscheinlich nicht in Deutschland ist."

Dabei würden mit dem Atomausstieg die Aufgaben der Kernforscher größer und nicht etwa kleiner, erklärt Knebel. Höchste Sicherheitsstandards bis zur Abschaltung der Kernreaktoren garantieren, den fachgerechten Rückbau der Meiler organisieren und eine sichere Endlagerung der radioaktiven Abfälle vorbereiten – all diese Aufgaben erforderten kerntechnische Expertise auf höchstem Niveau, wehrt sich Knebel gegen vereinzelte Forderungen anderer Forscher, Finanzmittel aus der Kernforschung für neue Netz- und Speichertechnologien umzuwidmen.

Dr. Joachim Knebel, Wissenschaftlicher Leiter (CSO) am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT). Copyright: DW/KIT
Dr. Joachim Knebel, Wissenschaftlicher Leiter (CSO) am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)Bild: KIT

"Wir müssen auch in Zukunft Fähigkeiten zum Krisenmanagement haben! Das haben wir am Beispiel Fukushima gesehen". In Karlsruhe haben sich die Kernenergie-Forscher deshalb auf die Untersuchung schwerer Störfälle spezialisiert. Mit Computer-Simulationen konnten sie so vor einem Jahr voraussagen, wie sich die radioaktive Strahlung um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima ausbreiten würde. Know-how, das gefragt sei. "Wir hatten hochrangige Delegationen aus Japan hier, die sich mit unserer Sicherheitstechnik befassen, um diese in den japanischen Reaktoren nachzurüsten."

Ohne Konzept, ohne solide Finanzierung?

Kernreaktor-Experte Joachim Knebel will dafür kämpfen, dass trotz Energiewende die nukleare Sicherheitsforschung in Deutschland nicht auf der Strecke bleibt. Solarforscher Eicke Weber dagegen macht Druck, die Energiewende jetzt auch in der Forschungsförderung zu vollziehen. Wer mehr Energie aus Windrädern und Solaranlagen wolle, der müsse jetzt mehr in die Erforschung von Speichertechnologien und Stromnetzen investieren. Bei der Energieforschung brauche es den Blick fürs Ganze. "Es gibt noch kein umfassendes Konzept, wie die Energiewende zu bewältigen ist", kritisiert der Leiter des größten Solarforschungsinstituts Europas.

Zudem fehle es der Energieforschung bislang an einer verlässlichen Finanzierung, sagt Weber. "Ein Großteil der Finanzierung beruht auf dem Verkauf von CO2-Zertifikaten", benennt Weber jene 685 Millionen Euro, die aus dem Sondervermögen "Energie- und Klimafonds" in die Energieforschung fließen sollen. "Ob das, was da eingeplant wurde, wirklich kommt, ist nicht sicher." Der Grund: Die CO2-Zertifikate sind sehr viel billiger als erwartet. Das eingeplante Verkaufsergebnis könnte am Ende verfehlt werden.

Zahlreiche durch Flugzeuge verursachte Kondensstreifen Foto: Frank Rumpenhorst
Energieforschung soll auch durch den CO2-Emissionshandel finanziert werdenBild: picture-alliance/dpa

Aber erben nicht nur bei der Finanzierung der Energieforschung besteht Handlungsbedarf, den auch die Politik erkannt hat. Bei ihrem letzten Koalitionstreffen (4.3.2012) signalisierte die bürgerlich-konservative Regierungskoalition, die bisher gemachten Fortschritte bei der Energiewende noch einmal kritisch zu überprüfen - insbesondere auch in der Energieforschung. Ob auch dieses Mal ein Blatt Papier genügte, das wurde allerdings nicht bekannt.

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Tobias Oelmaier