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Forschen auf Probe

Anke-Martina Witt11. Juli 2014

Ingenieure und Techniker sind in Deutschland dringend gesucht. Nun will man Abiturienten mit einem "Freiwilligen Wissenschaftlichen Jahr" dafür begeistern. In Hannover gibt es das Forschungsjahr bereits.

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Corinna Kleinholz steht an einer Zentrifuge (Foto: DW/Anke-Martina Witt)
Bild: DW/Anke-Martina Witt

Corinna schlüpft in ihren weißen Kittel. Zielsicher geht sie über die langen Flure des Fraunhofer-Instituts Richtung Labor. Mit ein paar Handgriffen und Klicks schaltet sie eine Zentrifuge ein: eine Blutprobe muss aufgearbeitet werden. Alltag für die 18-Jährige aus der Region Hannover. Corinna ist eine von rund 80 Freiwilligen, die im Rahmen eines Pilotprojekts der Medizinischen Hochschule Hannover ein "Freiwilliges Wissenschaftliches Jahr", kurz FWJ, absolvieren. Seit 2011 bietet die Hochschule gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern diese Alternative zum freiwilligen sozialen, ökologischen oder kulturellen Jahr an. Das FWJ ist laut Hochschule international eine Besonderheit.

Das Ziel: Die hohen Studienabbruchquoten in naturwissenschaftlichen Fächer sollen gesenkt werden, indem Abiturienten schon vor Studienbeginn einen praktischen Einblick in die Arbeit bekommen. Außerdem wollen die Einrichtungen junge Menschen für Forschung und Wissenschaft begeistern, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Denn laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft wird sich der Fachkräftemangel in diesem Bereich bis 2020 auf bis auf 1,4 Millionen erhöhen.

In Hannover ist das Projekt in den vergangenen Jahren auf so große Resonanz gestoßen, dass es nach dem Willen des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums nun auf das gesamte Bundesgebiet und auf Hochschulen im Ausland ausgeweitet werden soll. Eine entsprechende Gesetzesinitiative ist gerade im Bundesrat vorgestellt worden.

Das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr als Orientierungshilfe

Naturwissenschaften waren schon immer Corinnas Steckenpferd. Ihr Abitur machte sie in Physik, Mathe und Chemie. Nach der Schule habe sie aber eine Orientierungsphase gebraucht, erzählt die 18-Jährige. Sie wollte wissen, in welche Richtung es danach genau gehen soll, also bewarb sie sich als eine von mehr als 200 Interessenten um einen Platz. Seit fast einem Jahr ist sie nun ein fester Bestandteil des Teams in der Abteilung Klinische Methodenentwicklung am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin. "Hauptsächlich koordiniere ich hier meine eigene Studie", erzählt sie. "Ziel ist es, anhand von Atemluftproben später Krankheiten diagnostizieren zu können."

Corinna Kleinholz und ihr Betreuer Olaf Holz stehen an einer Zentrifuge (Foto: DW/Anke-Martina Witt)
Corinna und ihr Betreuer Olaf Holz: Unter Anleitung können die Freiwilligen ihre eigenen Studien durchführenBild: DW/Anke-Martina Witt

Ihre Zeit am Fraunhofer-Institut ist fast um, und mittlerweile hat Corinna schon ein klareres Bild von ihrer Zukunft: "Ich habe viele verschiedene Leute befragen können über ihren Beruf und weiß, dass ich auf jeden Fall in den Naturwissenschaften bleiben möchte." Sie will sich jetzt an den Universitäten für Humanmedizin, aber auch auf forschungsbezogene Fächer bewerben, etwa für Humanbiologie, Molekulare Medizin oder Biochemie. Das Fraunhofer-Institut möchte sie künftig weiter als studentische Hilfskraft unterstützen.

Begeistern und falsche Vorstellungen nehmen

Das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr solle die angehenden Studierenden nicht nur in ihrem Berufswunsch bestärken, sondern ihnen auch falsche Vorstellungen vom Leben als Forscher nehmen, sagt die Leiterin des Büros für freiwillige Dienste an der Medizinischen Hochschule Hannover, Nadine Dunker. Viele seien zwar von naturwissenschaftlichen Phänomenen fasziniert, ihnen sei aber nicht bewusst, was es tatsächlich bedeute, in der Forschung zu arbeiten. "Nach dem Jahr entscheiden sich etwa 50 Prozent für ein naturwissenschaftliches Studium", schätzt Dunker. Das sei ein Erfolg, denn diejenigen, die diesen Weg dann gingen, seien sich sicher, dass es das Richtige für sie ist. Die anderen würden vor einer möglicherweise falschen Studienfachentscheidung bewahrt.

Nadine Dunker, Leiterin des Büros für freiwillige Dienste an der Medizinischen Hochschule Hannover (Foto: DW/Anke-Martina Witt)
Nadine Dunker, Leiterin des Büros für freiwillige Dienste an der Medizinischen Hochschule HannoverBild: DW/Anke-Martina Witt

"Das Jahr war keine Zeitverschwendung"

Auch die beiden 19-jährigen Abiturientinnen Janne und Mareile haben das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr an der Medizinischen Hochschule genutzt, um sich auszuprobieren. "Ich habe mich jetzt umorientiert", sagt Mareile. Während ihrer Arbeit im Labor hat sie erkannt, dass ihr die Theorie besser liegt als die Praxis. Sie will nun Mathematik studieren.

Die Abiturientinnen Janne Bretsch (links) und Mareile Menge (rechts) mit Mareiles Betreuer Adrian Schwarzer (Mitte) am Institut für Experimentelle Hämatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (Foto: DW/Anke-Martina Witt)
Für Janne (links) und Mareile war das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr eine wertvolle EntscheidungshilfeBild: DW/Anke-Martina Witt

Janne hat sich ganz gegen ein naturwissenschaftliches Studium entschieden und fängt erst einmal eine Ausbildung zur Diätassistentin an. "Die Ausbildung ist ein sicheres Standbein. In der Wissenschaft gibt es immer nur befristete Verträge", erklärt die 19-jährige Abiturientin ihre Entscheidung. Außerdem sei der Konkurrenzdruck sehr groß.

Das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr bereut die junge Frau aber trotzdem nicht -ganz im Gegenteil: "Ich habe auf gar keinen Fall meine Zeit verschwendet, und ich habe jetzt eine Orientierung", meint sie. "Ich weiß, dass ich später nicht sagen werde, wäre ich mal in die Forschung gegangen." Das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr würde sie in jedem Fall weiterempfehlen.