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Formel "Kakerlake"

Stephan Hille, Moskau20. April 2004

Russland-Besuchern begegnen sie meist häufiger als ihnen lieb ist: Kakerlaken. Nun haben einfallsreiche Russen ein altes Kakerlaken-Spiel wieder belebt - sie lassen die hässlichen Tierchen um die Wette laufen.

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Sie haben einige Millionen Jahre Erdgeschichte auf dem Chitin-Panzer, sind extrem anpassungs- und überlebensfähig, vor allem aber sie sind sie ungebetene Gäste in den allermeisten russischen Wohnungen. Jetzt, wo die Außentemperaturen stetig steigen, krabbeln die "Tarakany", wie die Kakerlaken auf Russisch heißen, wieder aus ihren Ritzen.

Den russischen Kammerjäger mag man lieber nicht rufen. Denn der versprüht eine hochgeheime und höchstwahrscheinlich hochgiftige Mixtur, deren Langzeitwirkung für die eigene Gesundheit schwer abzuschätzen ist. Das eigentliche Zielobjekt krabbelt aber nach nur kurzer Zeit doch wieder irgendwo herum.

Betrug

Nicht wenige Scharlatane ziehen in diesen Tagen wieder von Tür zu Tür, um das vermeintlich todsichere Mittelchen gegen das ungebetene Getier an den Hausmann oder die Hausfrau zu bringen, doch solche an der Türschwelle gekauften Präparate stellen sich meist als völlig wirkungsloser Betrug heraus. Und was nützt es, wenn man die eigenen vier Wände kakerlakenfrei zu halten versucht? In den Müllschluckern, die in den meisten Häusern eingebaut sind, finden die lichtscheuen Leisetreter nicht nur den idealen Lebensraum, sondern auch eine schier uneinnehmbare Rückzugsmöglichkeit.

Kakerlaken gelten als Allesfresser, einen besonderen Nutzen scheint die Natur nicht für die Sechsbeiner vorgesehen zu haben. Russische Exilanten, die nach der Machtergreifung der Bolschewiki geflohen waren, fanden dann doch noch einen: Kakerlaken-Rennen. Mit Wetteinsatz wie beim Pferderennen und natürlich Wodka für die Gäste, die auf eines der Krabbelinsekten setzen.

Erfolg in Berlin

Neu aufgegriffen wurde die Idee auch in Berlin von dem russischen Künstler, Nikolaj Makarow. Die von ihm organisierten Küchenschaben-Rennen haben bereits eine Art Kultstatus erreicht. Auch in Moskau ist man inzwischen auf die Kakerlake als Renn-Tierchen gekommen. Unter den über 4000 Arten eignet sich vor allem die Madagaskar-Kakerlake (Gromphadorhina portentosa) für den schnellen Lauf. Prachtexemplare erreichen eine beachtliche Länge von bis zu acht Zentimetern.

Das Prinzip des Kakerlakenrennens ist denkbar einfach: Auf einem mit Plexiglas abgedeckten Renntisch mit fünf von einander abgetrennten Bahnen treten die Kombatanten gegeneinander über eine Strecke von knapp drei Metern an. Manchen "Athleten" muss jedoch von hinten mit einem dünnen Stäbchen "Beine gemacht werden" damit sie sich nach dem Startschuss überhaupt in Bewegung setzen und unterwegs nicht die Orientierung verlieren.

In Moskau fand nun dieser Tage das zweite Kakerlaken-Rennen nach der Februarrevolution statt. Auf eine große Resonanz stieß der Lauf der Küchenschaben bei den Moskauern jedoch nicht. Von einem Kultcharakter wie beim Berliner Kakerlakenrennen ist man hierzulande noch weit. Vielleicht auch deshalb, weil viele Moskauer, die Nachts in ihrer Küche das Licht anschalten, ohnehin so manche Kakerlake flitzen sehen.