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Folter: "Es ist nicht immer der böse Wille"

Märte Burmeister26. Juni 2005

Der 26. Juni ist traditionell der Anti-Foltertag der UNO. Folter und schwere Misshandlungen gibt es auf der ganzen Welt – selbst an Orten, wo man es nicht vermutet.

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Gewalt durch Überforderung?Gefangenen-Misshandlung im IrakBild: AP

Auch im so zivilisiert geltenden Europa ist Folter keineswegs ein unbekanntes Phänomen. Hier hat das Anti-Folter-Komitee des Europarats ein wachsames Auge auf mögliche Folter-Orte. Dazu gehören Gefängnisse und Polizeistationen, psychiatrische Klinken und sogar Heime für behinderte Menschen und Altenheime. Das "Commitee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment" (CPT) hat in allen 46 Europarats-Mitgliedsstaaten das Recht, solche Orte sowohl regelmäßig als auch spontan zu besuchen.

Zwei oder mehr CPT-Delegierte sehen sich verschiedene Einrichtungen in einem Land an und geben ihre Verbesserungs-Empfehlungen in einem Bericht an den jeweiligen Staat weiter. 2005 stehen zehn Länder auf der Besuchsliste, darunter auch Deutschland, Belgien und Griechenland. Etwa zehn bis 20 Einrichtungen werden jeweils unter die Lupe genommen.

Gefängnis Wärter schließt eine Tür
Möglicher Folter-Ort Gefängnis: Ein Justizbeamter schliesst eine Zelle zuBild: AP

Ein schwieriger Begriff

Wann es sich um Folter handelt, ist gar nicht so leicht zu entscheiden: Laut den Vereinten Nationen ist Folter jede Handlung, bei der einem Menschen von einem Träger staatlicher Gewalt oder auf dessen Veranlassung hin mit Absicht starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden - sei es, um Informationen zu bekommen, um einzuschüchtern, zu bestrafen oder zu diskriminieren.

"Mit dem Folterbegriff muss man sehr vorsichtig sein", warnt Dr. Renate Kicker, Assistenz-Professorin am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität Graz und Mitglied im CPT. Sie war unter anderem bei CPT-Besuchen in Italien, Bosnien-Herzegovina und Deutschland dabei. Die Grenzen zwischen Folter und Misshandlung sind fließend. Aufgabe des CPT sei es, Situationen aufzuzeigen, wo Verletzungen des Folterverbots entstehen könnten. Ob nun Folter oder Misshandlung: "Beides ist völkerrechtlich verboten", erklärt Dawid Bartelt, Pressesprecher von Amnesty International in Deutschland. Und beides macht vor Europas Demokratien nicht Halt.

Härter als erlaubt

Gewalt-Gipfel
Ab wann geht die Polizie zu weit?Demonstrant in Gewalt eines Polizisten bei Demonstrationen in Genua gegen den G8-Gipfel 2001.Bild: AP

Typisch für "Folter" in westeuropäischen Ländern ist laut Bartelt der "Gewaltmissbrauch durch Polizei": Berichten von Amnesty International zufolge sollen zum Beispiel französische Polizisten speziell bei Ausländern brutal vorgehen – Schläge mit Fäusten oder Knüppeln, die zu gebrochenen Nasen oder anderen Verletzungen führten, seien häufig. Ähnliche Vorgehensweisen sind der Organisation nach unter anderem in Belgien und Italien zu finden. "Wir sagen nach wie vor, dass das ein strukturelles Problem ist", erläutert Bartelt, "das geht über den Einzelfall hinaus." Korpsgeist und teilweise Rassismus sei der Polizei "irgendwie inhärent", also mit der Organisation an sich verbunden, obwohl dies nicht in der Polizeiausbildung gelehrt wird. Daher unterscheidet sich die Praxis mancher Polizeistationen von der Polizeischul-Theorie – und zwar dahingehend, dass härter durchgegriffen wird als erlaubt.

Das ist teilweise auch der Fall bei Psychiatrien und Heimen, wie Renate Kicker bei ihren CPT-Besuchen – unter anderem in Deutschland - erfahren hat: Hier werde misshandelt, indem man zum Beispiel jemanden in Anwesenheit von anderen ans Bett fesselt, um ihn ruhig zu stellen. Es sind auch Fälle dokumentiert von Menschen in Psychiatrien, die nur mit einem Hemd bekleidet waren - "damit man sie, wenn sie sich mit ihren Exkrementen beschmiert haben, einfach mit Wasser abspritzen kann", sagt Kicker.

Gewalt durch Überforderung

Grund für solche Misshandlungen ist laut Renate Kicker "nicht immer der böse Wille": Mangelnde Ausbildung, zu wenig Personal und Unterbezahlung der vorhandenen Kräfte sowie schlechte materielle Bedingungen führen zu Gewalt durch Überforderung. Lust am Quälen komme hingegen eher vereinzelt vor.

"Ich habe Polizeistationen und Aufenthaltsräume gesehen, die sind menschenunwürdig", berichtet das CPT-Mitglied, "Für solche Situationen ist der Staat mitverantwortlich." Politiker setzen sich ihrer Erfahrung nach aber eher ungern für bessere Bedingungen in Gefängnissen und Psychiatrien ein – sie fürchten Stimmenverluste gegenüber anderen Politikern, die mit Zielen wie "mehr Kindergärten" oder "bessere Schulen" populärer sind.

Empfehlungen mit Erfolg?

Die Empfehlungen des CPT zeigen zumindest in kleinen Dingen Wirkung, "zum Beispiel wenn es darum geht, eine bestimmte Zelle nicht mehr zu benutzen oder eine Trennwand als Sichtschutz zwischen Toiletten zu errichten", sagt Kicker. Schwieriger werde es mit allgemeineren Themen, zum Beispiel, dass jedem stets der Zugang zu einem Anwalt garantiert ist.

Für David Bartelt ist das CPT zu wenig: Er hofft auf eine baldige Ratifizierung des Zusatzprotokolls der UN-Anti-Folter-Konvention. Laut diesem Protokoll soll jeder eine eigene nationale Kommission zur Verhütung von Folter einrichten – sozusagen ein CPT im Kleinen. "Wir brauchen das Zusatzprotokoll jetzt zügig und es muss so ausgestaltet werden, dass das auch arbeitet." Eine richtige Organisation mit vielen hauptberuflichen Mitarbeitern soll es sein. Deutschland plant bisher nämlich nur eine Kommission aus vier Ehrenamtlichen.