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Flüchtlingsheim mit langer Tradition

Silke Ballweg25. Oktober 2015

Von 1953 bis 1990 fanden mehr als eine Million DDR-Flüchtlinge im Notaufnahmelager Berlin Marienfelde eine Zuflucht. Heute leben dort Menschen aus mehr als 20 Nationen. Eine Ausstellung dokumentiert die Geschichte.

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Der Eingang zum Notaufnahmelager Berlin Marienfelde (Foto: picture-alliance/dpa/B. Pedersen)
Seit 60 Jahren Zuflucht für Flüchtlinge: Das Notaufnahmelager MarienfeldeBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Mit einem kleinen Messer schneidet Khalid Abdul Hamid Zwiebeln auf einem Brett. Er macht den Gasherd an, erhitzt Öl. Im Übergangswohnheim Marienfelde im Süden von Berlin kocht sich der 31-Jährige sein Mittagessen, eine Linsensuppe. "In arabischen Ländern setzt sich der Mann zum Essen an den Tisch, aber hier muss ich kochen, Geschirr spülen, alles machen", erzählt der Syrer und rührt mit einem Kochlöffel die Zwiebel in dem Topf. "Jetzt verstehe ich zum ersten Mal, wieviel Mühe die Hausarbeit den Frauen macht."

Vor einem Jahr ist Hamid aus einem Flüchtlingslager in Jordanien nach Deutschland gekommen. Die Bundesregierung ließ ihn im Zuge einer Kontingentlösung einreisen. Ganz legal. Untergebracht ist er seither in dem Heim für Flüchtlinge. Mit vier anderen Männern teilt sich Khalid eine 60-Quadratmeterwohnung. Zwei Männer schlafen in einem Zimmer zusammen. „Ich hoffe, bald etwas Geld verdienen zu können, das ich dann nach Syrien schicken kann, um meinen Leuten dort zu helfen“, erzählt Hamid in der Küche. Die Suppe dampft. In der Wohnung ist es beengt, aber sauber. Die Männer nehmen Rücksicht aufeinander, anders geht es nicht.

Einfach eingerichtetes Zimmer mit Stockbett, Schrank, Tisch und zwei Stühlen (Foto: DW/S. Ballweg)
Heute wie damals: Zweckmäßig möblierte WohnungenBild: DW/S. Ballweg

1,3 Millionen DDR-Flüchtlinge kamen hier an

Rund 700 Flüchtlinge aus mehr als 20 Ländern leben derzeit in der Aufnahmestätte - in länglichen, dreistöckigen Häusern mit langer Tradition. Bereits Anfang der 1950er Jahre wurde die kleine Siedlung im Berliner Süden errichtet. Denn damals flohen Zehntausende Flüchtlinge aus dem sozialistischen Osten Deutschlands in die Bundesrepublik. Allein im März 1953 stellten rund 57.000 DDR-Bürger einen Aufnahmeantrag in der Bundesrepublik: Damals wie heute stand der Staat vor einer großen Herausforderung. "Westberlin hatte rund 80 Flüchtlingslager und Marienfelde sollte die Abläufe vereinfachen", erzählt Maria Nooke, die Leiterin des Museums, das an die bewegte Geschichte des Notaufnahmelagers erinnert und direkt an das heutige Heim angrenzt: "Aber schon kurz nach seiner Eröffnung war auch Marienfelde komplett überfüllt. Die Plätze haben eigentlich nie ausgereicht", so die Historikerin weiter. Kein anderes Heim in Deutschland hat eine solche Geschichte. Bis heute sind in Marienfelde ununterbrochen Flüchtlinge untergebracht.

Am 14.08.1961 standen Tausende von Neuangekommene für die Registrierung am Notaufnahmelager Marienfelde an. (Foto: picture-alliance/dpa/Zettler)
Am 14.08.1961 standen Tausende von Neuangekommene für die Registrierung am Notaufnahmelager Marienfelde an.Bild: picture-alliance/dpa/Zettler

Die historische Ausstellung skizziert in mehreren Räumen die Etappen der innerdeutschen Flucht. Hauptgründe in den 1950 er Jahren: Die politischen Veränderungen in der DDR. "Die Kollektivierung und die verschiedenen Enteignungswellen in der DDR haben dazu geführt, dass Menschen für sich keine Chance mehr gesehen haben", sagt Museumsdirektorin Nooke. Hinzu kamen Repressalien, Druck und Spitzeleien im Osten Deutschlands: "Für viele war die politische Situation in der DDR unerträglich. Sie wollten frei leben, deswegen haben sie den Entschluss gefasst und sind gegangen", so Nooke weiter.

Schaffen wir das? Heftige Debatten damals wie heute

Die Ausstellung ist spannend und wirkt wie eine Zeitreise. Wer darf kommen? Wo sollen die Flüchtlinge wohnen? Über die derzeit aktuellen Fragen wurde auch vor sechzig Jahren heftig gestritten. "Man rettet Menschen, einzelne Menschen", sagte Bundespräsident Theodor Heuss bei der Einweihung des Lagers im Jahr 1953. In seiner Rede appellierte er an das Mitgefühl der deutschen Bevölkerung.

Besucher in der Erinnerungsstätte Marienfelde (Foto: DW/S. Ballweg)
Besucher in der Erinnerungsstätte MarienfeldeBild: DW/S. Ballweg

Knapp vier Millionen DDR-Bürger kehrten ihrer Heimat den Rücken. Bis 1990 wurden 1,3 Millionen DDR-Flüchtlinge allein in Marienfelde registriert und betreut. Immer wieder war das Wohnheim überfüllt, dann warteten die Menschen im Freien darauf, sich endlich registrieren zu können, etwa am 14. August 1961, dem Tag nach dem Mauerbau. Nach dem Fall der Mauer waren dann viele Spätaussiedler in den Häusern und Wohnungen untergebracht. Heute leben hier viele, die vor Krieg und Terror geflohen sind: Iraker, Syrer oder Menschen aus Afghanistan.

Auch Millionen Deutsche waren auf der Flucht

Khalid Abdul Hamid aus Syrien kennt die Geschichte von Marienfelde. Die an seine derzeitige Wohnung angrenzende Ausstellung hat er sich schon mehrere Male angeschaut. "Es ist keine Schande, ein Flüchtling zu sein, weil man zum Flüchtling wird, durch Krieg wie jetzt bei uns in Syrien", sagt der 31-Jährige. Und doch: Die Fotos des überfüllten Lagers aus den 1950er Jahren zu betrachten und zu wissen, dass hier einst auch Deutsche Zuflucht gesucht haben, macht ihm Mut - besonders an Tagen, an denen er mit seinem Schicksal in Deutschland hadert.