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Flussauen schützen vor Hochwasser

Irene Quaile12. August 2014

Immer öfter sorgen Unwetter mit Starkregen für Verkehrschaos und Stromausfälle. Häuser stehen unter Wasser. Flüsse und Bäche laufen über. Hat der Mensch die Natur zu sehr eingengt?

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Elbaue bei Tangermünde, Sachsen-Anhalt (Foto: picture alliance/Bildagentur Huber)
Bild: picture alliance/Bildagentur Huber

Immer dann, wenn Starkregen zu Hochwasser führt, wenn sich die Menschen um ihr Hab und Gut, um ihre Häuser sorgen, kommt sie auf, die Frage: Wir können wir und gegen Überflutung schützen? Haben wir den Flüssen zu viel Raum genommen? Da sind Experten wie Emil Dister gefragt. Der Leiter des WWF-Auen-Instituts des Karlsruher Instituts für Technologie sieht in der Tat eine enge Verzahnung zwischen Hochwasserschutz und natürlichen Flussauen: "Der Fluss hat sich in seinem ursprünglichen Zustand ein Hochwasserbett geschaffen. Das sind die Auen, in denen früher ohne Einfluss des Menschen das gesamte Hochwasser auch bei extremen Wasserständen ablaufen konnte", erklärt Dister. "Wir haben diese natürlichen Überflutungsgebiete drastisch verkleinert, und nun steht für dieselbe oder eine angewachsene Wassermenge deutlich weniger Raum zur Verfügung."

Nach Berechnungen des Bundesamts für Naturschutz sind heute im Durchschnitt 80 Prozent der Flussauen in Deutschland verschwunden. Sie mussten Wohnsiedlungen und Industrieanlagen weichen oder werden intensiv durch die Landwirtschaft genutzt. Gerade in den mehrfach betroffenen Regionen in Ostdeutschland könne man diese Entwicklung anhand zahlreicher Studien belegen, sagt Dister.

Einzigartig in Deutschland sind die unberührten Flusslandschaften im Nordosten (Foto: Kanustation Anklam)
Unberührte Flusslandschaften wie diese in Nordostdeutschland sind heute seltenBild: Kanustation Anklam

Veränderte Landnutzung begünstigt Überflutungen

Bei kleinen Flüssen spiele die Versiegelung im städtischen Bereich eine bedeutende Rolle, so Dister. Bei den großen Flüssen macht er eher das veränderte Landnutzungsverhalten für den Verlust der Auen verantwortlich. Die Niederschläge treffen etwa nach einem sehr nassen Frühling auf bereits stark gesättigte Böden. Auch das liege an der veränderten Landbewirtschaftung, sagt Dister: "Die Bauern arbeiten mit schweren Maschinen, die den Boden verdichten. Sie haben andere Pflanzen und Anbaumethoden."

Naturschutzorganisationen fordern seit Jahrzehnten die Renaturierung der Flüsse, um vor Hochwasser zu schützen. "Die Bundesländer haben in erster Linie in technische Maßnahmen wie den Bau von Mauern und höhere Deiche investiert. Das allein reicht nicht aus", sagt NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Ohne Auen sinke die Möglichkeit, steigende Pegelstände auszugleichen."Wir brauchen lebendige Flüsse mit freien Ufern. Das dient nicht nur dem Hochwasserschutz, sondern schützt auch die Natur", so Tschimpke.

Das steigende Hochwasser der Elbe hat die Zollstraße in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) überflutet (Foto: Jens Wolf/dpa)
Hier hat die Elbe kein natürliches AusweichgebietBild: picture-alliance/dpa

Deiche und Polder - kein optimaler Auenersatz

Die Umweltschutzorganisation WWF sieht das ähnlich. In den vergangenen Jahren habe man vor allem auf bessere Vorhersage und zu stark auf technischen Hochwasserschutz gesetzt, kritisiert Georg Rast, WWF-Referent für Wasserbau und Hydrologie: "Sanierte und erhöhte Deiche mögen im Einzelfall vernünftig sein, doch oftmals wird das Problem nur immer weiter in die Nachbargemeinden flussabwärts verlagert."

Rast verweist auf eine bereits 2007 veröffentlichte WWF-Studie zur Hochwasserprävention an der Elbe. Nach dem Bericht machten alle geplanten und durchgeführten Deichrückverlegungen an der Elbe zusammen nur ein Prozent der einstigen Überflutungsflächen aus. Man müsste über ein differenziertes Management des Hochwasserrisikos in unterschiedlichen Gebieten nachdenken, sagt Emil Dister vom Auen-Institut: "Das würde bedeuten, dass man bei sehr großen Hochwassern gezielt landwirtschaftliche Flächen überfluten lässt um damit urbane Bereiche oder Industriebereiche zu schützen." Oder wie es WWF-Experte Georg Rast formuliert: "Das Hochwasser sollte besser auf die Ackerflächen anstatt in die Wohnzimmer."

Die Donau überflutet Häuser in einem Dorf bei Deggendorf (Foto: AFP/Getty Images)
Hier, in Bayern, hat der Hochwasserschutz 2013 versagtBild: Christof Stache/AFP/Getty Images

An manchen Stellen werden künstlich angelegte Überflutungsflächen, so genannte Polder, oder Rückhaltebecken für den Katastrophenfall bereit gehalten und bei Hochwasser gezielt geflutet. Dies sei in manchen Fällen nicht zu vermeiden, biete aber keine gute Alternative zu natürlichen Überflutungsflächen, so Dister, der sich auch mit der Erforschung der Auen-Ökosysteme beschäftigt: "Die Polder können in sehr unterschiedlicher Weise gesteuert werden, und wenn das nur im Katastrophenfall geschieht, dann ist das für den Lebensraum, der betroffen ist, tatsächlich auch eine Katastrophe, weil es keine Anpassung an das Hochwasser gibt. In den Auen existieren Lebensgemeinschaften, die immer wieder dem Hochwasser ausgesetzt sind, und sogar darauf angewiesen sind."

Extremwettersituationen nehmen durch den Klimawandel zu

Nach der Elbeflut 2002 haben Bundesregierung und Länder umfassende Hochwasserschutzprogramme initiiert. Doch auch mehr als zehn Jahre nach der damaligen Flut hat sich das Risiko kaum verringert, sagen die Umweltschützer. Es sei zu wenig passiert, um dem Fluss mehr Raum zu geben und das Schadenspotenzial zu verringern, sagt der WWF. Der NABU fordert ein Programm "Blaues Band", um die Renaturierung von Fließgewässern und Auen zu finanzieren.

Durch den Klimawandel rechnen Experten in Zukunft häufiger mit Extremwetter-Ereignissen. Investitionen in Hochwasserschutz solle man daher auf keinen Fall aufschieben, sagt Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel: "Wir müssen der Natur ein Stück zurückgeben. Denn die Natur holt sich nur wieder, was ihr auch einmal gehört hat. Wir brauchen mehr Überschwemmungsgebiete!" Außerdem müsse man auch über unpopuläre Maßnahmen nachdenken, wie Bauverbote in gefährdeten Gebieten", so der Wissenschaftler.

Die Rückwandlung flussnaher Flächen in natürliche Auen und Wälder sieht auch Emil Dister als notwendige Maßnahme der Anpassung an den Klimawandel. Trotzdem wird es Ereignisse geben, für die alle Maßnahmen nicht ausreichen, ist sich der Flussexperte sicher. Er erinnert an das "Magdalenenhochwasser" von 1342, das riesige Verwüstungen im Westen Deutschlands anrichtete: "Dagegen nutzen Auen nichts, dagegen nutzen auch alle anderen Vorkehrungen, die man treffen kann, nichts. Man kann eine Menge tun, aber den absoluten Hochwasserschutz gibt es nicht."