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Flucht der Volksvertreter

Rupert Wiederwald8. Oktober 2004

Die politische Klasse verlässt Berlin, es ist ihr zu unwirtlich geworden. Hoher Schuldenstand, hohe Arbeitslosigkeit und ein hoher Frustfaktor haben die Regierungsmenschen auf Dienstreise oder aufs Heimatsofa geschickt.

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Hallo, ist da wer? Keine Antwort. Durch die geräumigen Hallen des Kanzleramts schwingt nur das leise durchdringende Surren der Bohnermaschinen, die den edlen Boden auf Hochglanz polieren. Das sonst so charakteristische Klacken der Kameras, die aufgeregten „Herr-Bundeskanzler“-Rufe der Kollegen Journalisten und das Echo der Kanzlerschuhe, wenn diese den gebohnerten Boden abmarschieren – das alles fehlt. Der Kanzler ist ausgeflogen – im wahrsten Sinne des Wortes. Er dienstreist durch die Welt, auf dass sich das große Ziel seiner Kanzlerschaft erfülle: der ewige Sitz im Sicherheitsrat. Heute Indien, morgen Vietnam und nächste Woche Afghanistan. Kleinvieh macht eben auch Mist.

Während der Kanzler also, ganz im Sinne seines Amtseides, die deutschen Interessen „wahrt, schützt und mehrt“, versinkt das heimatliche Kanzleramt in einem Schleier von Melancholie. Einsam und verlassen liegt es im grauen Nebel des herbstlichen Oktobers und harrt der Wiederkehr seines ersten Bewohners.

Auf nach Osten

Es erscheint, als sei das politische Berlin geflüchtet – vor dem Unbill von Karstadt-Pleiten, Nachtragshaushalten und überhaupt dieser schlechten Stimmung im Land.

Des Kanzlers Untergebene – auf und davon: Im Finanzministerium kann man den Spargroschen fallen hören - so still ist es, seitdem der Sparminator Eichel sich ins ferne China aufgemacht hat. Im selben Land weilt auch Renate Künast. Als Verbraucherschutzministerin hat sie im fernen Osten bestimmt eine Menge zu tun – ihr Ministerium hat sie verweist zurückgelassen.

In den anderen hohen Hallen dieser unserer Regierung sieht es nicht besser aus. Dass Reisen bildet, lernt die dafür zuständige Ministerin Buhlmann gerade in Indien. Nicht ganz so weit weg hat es die Staatsministerin für Kultur und Medien, Christina Weiss, verschlagen – zurzeit besucht sie Rumänien. Vielleicht wird sie dort ganz erstaunt ihrem Berliner Kollegen Struck, zuständig für Verteidigung, über den Weg laufen. Im Ausland begegnet man ja immer wieder Bekannten aus der Heimat. "Global Village" hat das mal ein kluger Kopf genannt.

Leer ist es geworden in den Berliner Amtsstuben, leer und langweilig. Minister auf Dienstreisen und die Damen und Herren Volksvertreter schon auf dem Weg ins Wochenende, oder wie es in den Vorzimmern dann immer heißt: „ ... schon im Wahlkreis.“ Das klingt dann mehr nach Arbeit. Ganz nah ist der oder die Abgeordnete dann an seinem Wahlvolk, die Lauscher dicht dran an Volkes Stimme. Oder vielleicht auch einfach nur auf dem heimatlichem Sofa.

Daheim geblieben

Geblieben sind nur wenige, eine Art Rumpf-Kabinett sozusagen. Erstaunlicherweise angeführt von dem Mann, der von Berufs wegen am weitesten entfernt sein müsste – Außenminister Joschka Fischer. Nebenbei ist der Mann aber Vizekanzler, oder Abwesenheitsvertreter des Kanzlers, und hat jetzt also das Land zu hüten. So vertreibt der AA-Minister und Vertretungskanzler sich die Zeit mit Empfängen von nicht ganz so wichtigen und etwas wichtigeren Staatsgästen und freut sich darauf ab und an am Kabinettstisch mal den großen Stuhl des Kanzlers zu erklimmen, wichtig die Journalisten anzubrummen und auch mal die Ministerkollegen. Die, die noch da sind. Denn leer ist sie geworden, die Kabinettsrunde.

Einer, der die Stellung hält im herbstlichen Berlin, ist Otto Schily. Er erhebt seinen Beruf quasi zum Programm: Bundesminister des Inneren. Jetzt kann er seine Entscheidungen ohne Konkurrenz zu den entflogenen Kollegen verkünden. So gibt er bekannt: Der Bundesgrenzschutz heißt jetzt Bundespolizei. Außerdem trage diese ab sofort blaue Uniformen. Nicht mehr grün. Wo er das wohl her hat. Vielleicht hat ihm das ja einer der vielgereisten Minister erzählt. Dass im Ausland die Polizisten schönere Uniformen hätten – nicht so ein langweiliges grün wie in Deutschland.