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Flucht aus "sicheren Herkunftsländern"

Nils Neubert3. September 2015

Albanien, Kosovo und Montenegro sollen zu Staaten erklärt werden, in denen es keine politische Verfolgung gibt - das wird in Deutschland debattiert. Aber die Migranten vom Balkan wird das nicht aufhalten.

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Flüchtlinge aus dem Kosovo (Foto: ARMEND NIMANI/AFP/Getty Images)
Bild: Armend Nimani/AFP/Getty Images

"Montenegro ist ein sicheres Herkunftsland." Premierminister Milo Đukanović ließ in einem Interview mit dem deutschen "Handelsblatt" vor wenigen Tagen keine Zweifel aufkommen: Für den kleinen Adriastaat sei diese Einstufung überfällig. Das sehen viele seiner Landsleute anders. "Warum hauen denn alle ab, wenn es uns hier so gut geht?" kommentierte ironisch die in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica erscheinende Zeitung "Vijesti" und verwies dabei auf die große Zahl der Auswanderer.

Aus dem Kosovo kommen ähnliche Nachrichten. Der Balkanbeauftragte des Europäischen Parlaments, David McAllister, berichtete von einem Schreiben des kosovarischen Ministerpräsidenten Isa Mustafa, in dem es heißt: "Wir sind dafür, den Kosovo als sicheren Herkunftsstaat im deutschen Recht zu klassifizieren." Im Kosovo gebe es weder politische Verfolgung noch Folter.

Und auch in Albanien fordern Politiker, ihr Land als "sicheren Herkunftsstaat" zu definieren.

Hintergrund dieser Äußerungen ist allerdings nicht, dass diese drei Staaten tatsächlich die Einhaltung der Menschenrechte garantieren. Vielmehr haben sie alle ein Interesse: Sie wollen in die EU und darum den Makel loswerden, ein "unsicheres" Land zu sein. Bernd Mesovic von der deutschen Menschenrechtsorganisation Pro Asyl ärgert sich über diese öffentlichen Verlautbarungen: "Man fragt ja auch nicht den nordkoreanischen Machthaber, ob sein Land ein sicherer Herkunftsstaat ist. Natürlich würde er das bejahen."

Eine Turnhalle in Bayern als Flüchtlingsunterkunft (Foto: dpa - Bildfunk)
Kein gelobtes Land: Eine Turnhalle in Bayern als FlüchtlingsunterkunftBild: picture-alliance/dpa/D. Endlicher

Beschleunigte Verfahren

In Deutschland bemühen sich zur Zeit vor allem die Unionsparteien in der Regierungskoalition darum, Montenegro, Albanien und das Kosovo als sogenannte "sichere Herkunftsstaaten" einzustufen. Das bedeutet, dass der Staat politisch Andersdenkende nicht verfolgt - damit haben Flüchtlinge aus diesen Ländern keinen Grund mehr, Asyl in Deutschland zu bekommen und ihre Anträge können schneller bearbeitet, sprich: abgelehnt und die Betreffenden abgeschoben werden.

Die Bundesregierung will potentielle Migranten damit auch abschrecken. Wenn sich herumspräche, dass sie in Deutschland keine Chancen hätten, einen Aufenthalt zu bekommen, würde das viele abhalten, sich überhaupt auf den Weg gen Westen zu machen, so die Hoffnung.

Bernd Mesovic von Pro Asyl weist aber darauf hin, dass auch Verfahren von Flüchtlingen aus "sicheren Herkunftsstaaten" keineswegs immer kurz seien. Asylsuchende hätten weiterhin das Recht auf Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid. Bisher gebe es keine Zahlen, die belegen, dass diese Verfahren schneller seien und die Abschreckung wirke.

Umstrittene Abschreckung

Ruždija Sejdović ist montenegrinischer Schriftsteller und Roma und kennt die Situation seiner Landsleute: "Viele Roma in Montenegro sind gut integriert. Sie haben ihre Kulturvereine und können sich entfalten. Mehr Probleme haben die vielen Roma, die aus dem Kosovo als Flüchtlinge nach Montenegro gekommen sind. Sie leben zum Teil auf Müllhalden und natürlich wollen viele von ihnen einfach nur weg."

Sollte Montenegro als "sicherer Herkunftsstaat" eingestuft werden, wäre das für diese Roma kein Hinderungsgrund, in Deutschland Asyl zu beantragen - sie hätten nichts zu verlieren, so Sejdović. In Montenegro seien viele nicht behördlich gemeldet und so von Bildung und Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Sie könnten auch nicht ins Kosovo zurückkehren, weil die Kosovo-Albaner die Roma weiterhin ablehnten.

Außerdem fliehen die Kosovaren selbst aus ihrer Heimat - Anfang dieses Jahres gab es einen regelrechten Exodus. Seitdem schaltet die deutsche Bundesregierung ganzseitige Anzeigen in der in der Hauptstadt Priština erscheinenden Tageszeitung "Koha Ditora". Tenor: Kosovo-Albaner haben keine Aussicht auf Asyl in Deutschland.

Flüchtlinge aus dem Kosovo (Foto: dpa/lby +++(c) dpa - Bildfunk)
Viele der Abgesochobenen sagen: "Wir kommen wieder"Bild: picture-alliance/dpa/D. Endlicher

Chance von eins zu tausend

Frank Hantke, der seit drei Jahren das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der albanischen Hauptstadt Tirana leitet, hält solche Anzeigen für wenig effizient. Ein albanischer Journalist habe ihm gesagt: "Was deine Regierung da macht, ist total falsch. Die sagen, nur ein Albaner von tausend hätte eine Chance. Damit stehen die Chancen besser, als im Lotto zu gewinnen." Viele Albaner nähmen dafür das Risiko der langen Reise auf sich - sie könnten ja dieser eine von tausend sein.

Was Albaner zum Auswandern treibe, so Hantke, sei nicht nur die Armut, sondern auch das ungerechte politische System. Es sei üblich, Posten in Behörden und Unternehmen nach Parteibuch zu vergeben. Komme es nach einer Wahl zu einem Machtwechsel, verlören diese Protegierten möglicherweise ihre Arbeit, fühlten sich politisch verfolgt und suchten anderswo Asyl.

Darum müsse Deutschland eine offensive Einwanderungspolitik betreiben, fordert Hantke. Albanischen Jugendlichen könne zum Beispiel eine Ausbildung in Deutschland ermöglicht werden, sie bräuchten aber auch Anreize, danach nach Albanien zurückzukehren. Andernfalls lassen sich diese jungen Menschen nicht davon abhalten, in Deutschland nach einem besseren Leben zu suchen - auch nicht dadurch, dass sie aus einem "sicheren Herkunftsstaat" kommen.