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Fluch oder Segen? - Sotschi und die Olympischen Winterspiele

Gesine Dornblüth 25. August 2008

Als Sotschi den Zuschlag für die Winterspiele 2014 bekam, gab es noch keine geeignete Wettkampfstätte. Die Planer der Spiele stehen nun vor einer riesigen Aufgabe, die Bewohner fürchten, dass sie den kürzeren ziehen.

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Skifahrer im Wald bei Sotschi (21.02.2007/AP)
In sechs Jahren müssen die Sportstätten für Olympia in Sotschi fertig seinBild: AP

Etwas außerhalb von Sotschi besucht Dmitrij Drofitschev die Gräber seiner Großeltern. Zärtlich sortiert er die Zweige der blauen Hortensien. Noch sprießt ringsum Grün, doch der Friedhof soll weichen, denn hier sollen die Eisstadien gebaut werden. Drofitschev und seine Nachbarn sollen umziehen. Auf ihren Grundstücken sind Hotels geplant. Als die Bewohner dem Internationalen Olympischen Komitee bei dessen Besuch in Sotschi im Frühjahr einen Protestbrief übergeben wollten, wurden sie von russischen Eliteeinheiten verprügelt. Dmitrij Drofitschev will sich davon nicht einschüchtern lassen. "Wir warten darauf, dass die Regierung in Moskau darauf reagiert", sagt er. "Ich habe immer noch einen Funken Hoffnung, dass unser Präsident von all dem nichts weiß, dass er falsch informiert ist." Vielleicht komme er im letzten Moment und sorge für Gerechtigkeit. Daran glaubt Dmitrij Drofitschew.

Sotschi-Logo (AP)
Staus und Baustellen sind die Nachteile der Olympischen SpieleBild: AP Graphics

Vor dem Hotel "Moskau" in Sotschi blasen acht alte Männer ihre Backen auf. Die Sonne treibt den Musikern den Schweiß auf die Stirn. Urlauber bleiben stehen, wippen im Takt. Ein Postkartenidyll, das durch Plakate an den Straßen noch verstärkt wird: "Verdoppelung der Löhne" steht darauf, ein "neues städtisches Krankenhaus", "hundertprozentige Versorgung der Stadt mit Gas". All das und vieles mehr versprechen die Organisatoren der Olympischen Winterspiele den Bewohnern von Sotschi. Doch bisher sind vor allem die Immobilienpreise in der Stadt explodiert. Und Sotschi erstickt im Stau.

Sumpfiger Boden erschwert Bauarbeiten

Auf dem Markt von Sotschi verkauft Irina Vladimirovna Souvenirs. Sie bessert so ihre Rente auf. "Die vielen Baustellen machen uns das Leben schwer", beklagt sie sich. "Vielleicht haben wir später etwas von Olympia, wenn alles fertig ist und die Spiele stattfinden." Aber bisher gebe es nur Nachteile. Die Staus seien furchtbar. "Ich wohne außerhalb, und der Bus braucht jetzt zweieinhalb bis drei Stunden", beschwert sich Irina Vladimirovna weiter. "Früher waren es 20 Minuten. Bei der Hitze im Bus fallen die Leute reihenweise in Ohnmacht."

Ein Pavillon in Sotschi an der Schwarzmeerküste (16.07.2005/dpa)
Sotschi war schon immer eine HeilstätteBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Wie das Verkehrsproblem gelöst werden soll, ist unklar. Bisher führt nur eine Uferstraße an der Küste entlang. Eventuell soll darüber noch eine Hochstraße gebaut werden, so dass der Verkehr auf zwei Etagen fließen könnte. Bauarbeiten in und um Sotschi sind extrem schwer. Die Stadt liegt am Meer, der Boden ist zum Teil sumpfig. Geologen warnen, dass der Boden absacken könnte, wenn an der falschen Stelle gebaut wird.

Negative Folgen für den Kurbetrieb

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung geht mittlerweile so weit, dass sogar Mitarbeiter der Stadtverwaltung es wagen, das Olympiaprojekt öffentlich zu kritisieren - ungewöhnlich in der russischen Provinz. Zum Beispiel Natalja Schefer, die Leiterin des städtischen Umweltausschusses von Sotschi. "Kein Großereignis, wie wichtig es international auch sein mag, darf auf Kosten der Einheimischen durchgeführt werden", verlangt sie. "Sotschi ist nicht einfach nur Bauland. Sotschi hat vor allem eine einzigartige Natur, einmalig in der ganzen einstigen Sowjetunion."

Plakat Sochi vor Ski-Lift(21.02.2007/AP)
Werden die Winterspiele der Natur in und um Sotschi schaden?Bild: AP

Und Sotschi sei immer eine Heilstätte für Millionen Menschen gewesen. Die Stadt habe gute Kureinrichtungen und Kliniken, hoch qualifizierte Ärzte. "Jetzt können sich viele Menschen nicht mehr leisten, hier zu kuren", erzählt Natalja Schefer. "Und wenn auch noch das Ökosystem zerstört wird, kann man sich leicht ausrechnen, welche negativen Folgen das auf den Kurbetrieb haben wird."

"Die Spiele werden der Natur schaden."

Natalja Schefer bekommt Schützenhilfe von Greenpeace Russland. Oberhalb von Sotschi beginnt das streng geschützte Naturgebiet Westkaukasus, wegen seiner Einzigartigkeit gar Teil des Welterbes der UNESCO. Direkt angrenzend an dieses Schutzgebiet wollten die Olympiaplaner ursprünglich die Bob-Bahn und einen Teil des Olympischen Dorfes bauen. Greenpeace äußerte Bedenken, ebenso die UNESCO. Der internationale Druck stieg. Anfang Juli ordnete Regierungschef Vladimir Putin schließlich an, die beiden umstrittenen Projekte an einer anderen Stelle zu bauen, weiter entfernt von dem Schutzgebiet.

Doch auch so werden die Winterspiele der Natur schaden, meint Michail Krejndlin von Greenpeace Russland. "Es ist eine Tatsache, dass die Spiele eine große Belastung für das Ökosystem sind", sagt er. "Aber wir haben gesagt: Wir können aus politischen Gründen nicht gegen Olympia insgesamt sein." Immerhin könnten die Spiele ja auch eine gewisse Entwicklung für den Kurort Sotschi bringen. Er selbst glaube daran allerdings nicht. Einige Menschen in Sotschi glauben sogar, dass die Olympischen Spiele noch abgesagt werden könnten: einfach, weil die Anlagen nicht fertig werden.