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Flaute auch in der Ausbildung

Rolf Wenkel8. August 2003

In Deutschland werden immer weniger Lehrlinge ausgebildet. Nicht nur hohe Arbeitskosten und schlechte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen werden als Gründe genannt. Viele Lehrlinge sind nicht genügend qualifiziert.

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Trotz Mangel an Facharbeitern gibt es zu wenig LehrstellenBild: AP

Die deutsche Wirtschaft beklagt zwar den Mangel an Facharbeitern, zeigt aber wenig Neigung, selbst welche auszubilden. Nicht einmal ein Viertel der rund 2,6 Millionen Betriebe in Deutschland bildet Lehrlinge aus. Bis Ende Juli wurden knapp 49.000 Ausbildungsstellen weniger gemeldet als im Jahr zuvor. Rechnerisch fehlen noch knapp 148.000 Ausbildungsplätze. Zwar wird diese Lücke bis Ende September, wenn die Ausbildung in den Betrieben beginnt, erfahrungsgemäß noch deutlich kleiner, doch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn hält die Situation für kritischer als im Vorjahr.

Die IG Metall schätzt, dass die deutsche Wirtschaft in diesem und im vergangenen Jahr rund 100.000 Lehrstellen abgebaut hat. Die Berliner Zeitung befragte die 21 größten Unternehmen des Landes - die Mehrheit der deutschen Großkonzerne plant trotz aller Appelle von Politikern und Verbänden keine nennenswerte Steigerung ihrer Ausbildungsaktivitäten. Allianz, Commerzbank und die Deutsche Post wollen sogar weniger junge Menschen ausbilden als vor einem Jahr. Nur der Chemiekonzern BASF, die Deutsche Bahn und Siemens erweitern ihr Lehrstellenangebot.

Mittelständler mauern

Doch das Rückgrat für die Ausbildung junger Menschen bilden nicht die Großkonzerne, sondern die zahllosen kleinen und mittleren Betriebe. Und die haben viele Gründe für ihre mangelnde Ausbildungsbereitschaft. Gut eine halbe Million Betriebe könnte mit einer Lehrlingsausbildung in die eigene Zukunft investieren, doch die Konjunkturflaute hindert sie daran. Denn Lehrlinge kosten erst einmal mehr als sie einbringen, an zwei Berufsschultagen in der Woche fehlen sie ganz, und wenn man sie für teures Geld gut ausgebildet hat, werden sie von den Großbetrieben weggekauft.

Viele Schulabgänger sind aber auch schlicht und einfach nicht qualifiziert, eine Lehre anzufangen: "Etwa zehn Prozent der Schüler liegen unterhalb der untersten Kompetenzstufe und sind nicht in der Lage, Informationen in einem Text zu lokalisieren oder einen einfachen Grundgedanken zu erfassen. Nach unseren Hochrechnungen müssen damit gut 90.000 Jugendliche eines Jahrgangs als nicht ausbildungsreif
bezeichnet werden", sagt Hans-Peter Klös, Geschäftsführer des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.

Die Politik ist schuld

Das Forschungsinstitut der Arbeitgeber hat 900 Unternehmen mit insgesamt 1,6 Millionen Beschäftigten zu ihrer Ausbildungsbereitschaft befragt. Ergebnis: Das Lehrstellenangebot wird in diesem Jahr vermutlich 3,8 Prozent oder umgerechnet rund 20.000 Stellen unter dem Niveau des Vorjahres liegen. "Die konjunkturelle Situation und die fehlende wachstumsfördernde Wirtschaftspolitik werden von über 90 Prozent der Betriebe als Hauptgründe für die jetzige Zurückhaltung beim Lehrstellenangebot genannt. An dritter und vierter Stelle rangieren die hohen Arbeitskosten und auch die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt", sagt IW-Geschäftsführer Klös.

Doch trotz der scheinbar alarmierenden Zahlen kann man nicht wirklich von einer Ausbildungsmisere sprechen. Denn manche Branchen suchen händeringend Nachwuchs und finden keinen. In Bayern zum Beispiel würden viele Betriebe Hauswirtschafterinnen, Fachleute für Systemgastronomie und Restaurantfachleute ausbilden, in Baden-Württemberg Stuckateure und Versicherungskaufleute, in Nordrhein-Westfalen Bankkaufleute. In einigen Berufen existiert sogar ein bundesweites Überangebot an Lehrstellen: Bei den Bauberufen, den Landwirten, im Nahrungsmittelhandel und der Gebäudereinigung.

Auf mittlere Sicht droht den deutschen Unternehmen eine Bewerberknappkeit. Denn ab 2007 kommt die Wende auf dem Ausbildungsmarkt, die Zahl der Schulabgänger geht deutlich zurück, und die Betriebe werden jeden Schulabgänger heftig umwerben. So wie 1979, als es 44.000 unbesetzte Lehrstellen gab.